Ich bin bestimmt nicht antideutsch, aber ab und zu kotzt mich das Staatsgefüge und die von der Mehrheit gelebte gesellschaftliche Grundordnung derart an, dass ich mich dabei ertappe Deutsch-Sein zu pauschalisieren und fundamental abzulehen. Dies sind die Momente, in denen ich mich freue, dass es antideutsche Musik gibt. Das ging mir schon in den Achtzigern so, als wir Slime-Lieder mitgröhlten. Näher drüber nachgedacht konnte ich beispielsweise mit "Deutschland muss Sterben" die Kritik teilen, jedoch die Konsequenz Deutschland zu vernichten, hielt ich für falsch. Doch gerade diesen Passus gröhlten wir natürlich umso lauter, weil er "in der Seele gut tut". Auch heute noch! Ich kämpfe in Deutschland für eine radikale Veränderung in Deutschland zu Gunsten der Menschen mit denen ich in Deutschland lebe. Insofern bin ich nicht antideutsch. Und trotzdem blüht ein Grinsen im Gesicht auf, wenn egotronic zum Raven gegen Deutschland aufrufen.
… und auf dieser Platte werden einige Leute gefickt.“
Seit Anfang des Jahrtausends dudelt häufig ein äußerst minimalistischer C-64 (2) Computer-Sound mit fiesen, zynischen, durchgeknallten und auch sehr ernstzunehmend gesungenen Texten auf kleinen, mittleren oder eben großen linken Kulturevents: das Berliner „elektro64turbopunk“-Duo Egotronic.
Ob zum 60. Jahrestag der Bombardierung Nazi-Dresdens, auf Antifa-Mobilisierungs-Veranstaltungen, überwachungskritischen Partys oder einfach so in alternativen Clubs: Egotronic sind überall unterwegs.
Egotronic sind so politisch, wie es eigentlich gar nicht geht. Dabei macht Egotronic keinen proklamatorischen Agit-Prop, sie sind keine im alternativen linken Identitätsmuff hängenden Musikanten – nee sie sind tatsächlich „anders“, sie haben es drauf zu treffen – die Bürgerlichen, die Nazis, die Geschichtsrevisionisten verschiedenster Couleur oder die Bilderbuch-Linken.
„Diese bekackten Deutschen, nichts hat sich verändert, bekackte Nazis“ zitieren sie Walter aus dem Kult-Streifen „The Big Lebowski“ in „Exportschlager Leitkultur“ mit dem soundtechnisch martialisch, gebetsmühlenartig wiederholten Anwurf „Antisemiten“. Keine Einwände an dieser Stelle? Dann weiter: „Anti-Castor-Heimatschutz-Bewegung“ verbindet stranges Computer-Gefrickel, eine verzerrte Stimmgarnitur mit unverblümt-scharf-zynischer Kritik: „Jetzt steh'n sie da für eine bessre Welt/ jetzt steh'n sie da, der Club der Deutschland sauber hält/ jetzt steh'n sie da, gegen Umweltschmutz/ jetzt steh'n sie da: der deutsche Heimatschutz“.
Und da erstarrt sicher manchem/r das mitwippende Gesicht und eine Schublade geht auf: die sind ja „antideutsch“.
Als Startpunkt des Egotonic-Projektes lässt sich das Jahr 2000 ausmachen. Die beiden Wahlberliner Torsun und Hörm kommen – nach zahlreichen Einzel-Projekt-Versuchen - zusammen. Nach und nach werden sie zum festen Bestandteil linker Party- und Aktions-Kultur, beteiligen sich - neben zahlreichen im Selbstvertrieb veröffentlichten CD-Demos - an Compilations wie „Bis auf weiteres eine Demonstration...“ (2002) oder „I can´t relax in Deutschland“ (2005). Im Jahr 2005 schließlich kommen sie mit dem Hamburger Label Audiolith zusammen, bei dem im selben Jahr ihre erste „ordentliche“ Single „Nein nein (produziert mit Saalschutz)/ luxus“ erscheint.
2006 wird die erste Platte namens „Die richtige Einstellung“ releast. Der Titelsong dürfte jedem und jeder hedonistischen Linken aus dem Herz sprechen: „…Genieß' die Sonne/ lehne mich zurück/ ich lebe nur für den Moment, für diesen Augenblick/ es tut so gut hier zu sitzen/ ich muss gar nichts tun/ außer vom Müßiggehen auszuruhen“ oder „Hast du 'ne feste Arbeit oder was ist dein Problem/ dann empfehle ich dir einmal zum Arzt zu gehen/ 'nen gelben Schein bekommt man schnell, dann kannst du leben fett/ Symptome findest du im Internet“ räumt mit dem permanent erzwungenen linken Reflex á la „Aber ich will doch sinnvolle, gesellschaftlich notwendige Tätigkeit verrichten und nicht nur faulenzen!“ auf.
Fleißig sind Egotronic allemal. Neben den permanenten exstatischen Live-Auftritten findet sich in den virtuellen Tiefen des Internets ein kaum erfassbares Geflecht von Internetseiten und Blogs: egotronic.tk (wo man ein Gros der Songs kostenlos downloaden kann), Torsuns Blog ( www.myblog.de/torsun ), Hörms Internetseite ( http://laberkosmos.tk ), Egotronic Fan Force ( www.myblog.de/egotronicff ) sind nur wenige Beispiele für ein quantitativ unendliches, abgefahrenes Polit-Trash-Erlebnis (unbedingt reinziehen: http://torsun.tk – Link „Märchen“!!!).
Egotronic sind wahnsinnig, Egotronic sind zynisch - bis zur Grenze des Erträglichen. So sehr, dass sich in der Linken über Ein- oder Ausladung gezofft wird. „Dass bzw. warum Egotronic auf ihrer Website zur Bahamas (antideutsche Publikation, Anm. d. Redaktion) verlinkt und die Wahl der aufgenommenen Texte (dabei geht es um das Papier „20 Fakten zu Israel“ eines rechts-konservativen US-Amerikaners, das Egotronic auf ihrer Seite veröffentlicht haben, Anm. d. Red.), stößt bei Teilen von uns auf großes Befremden,“ schreibt die Gruppe schoenerfriedrichshain auf www.xberg.de und verteidigt sich damit gegen KritikerInnen des Auftritts von Egotronic auf einer Aktion gegen das sexistische und chauvinistische Klima auf der so genannten Friedrichshainer Biermeile. „Mit der Einladung der Band ‚Egotronic' beweisen die VeranstalterInnen der Gegenkundgebung wenig Fingerspitzengefühl, wenn sie die Bedenken und Abneigung gegen die so genannten ‚antideutschen' Querschläger nicht ernst nehmen.“ ( www.xberg.de , August 2004) „Manche gründen Pärchen und machen heimlich Kassler“ … mag man da eigentlich nur entgegnen. Vielleicht für manche/n tatsächlich ein Tipp für einen sinnvolleren, entspannten Zeitvertreib.
Meine persönlichen Egotronic-Favoriten sind „V36“, das mal ganz unkonfrontativ und wortkarg ein Haus (V36) abfeiert, in dem Torsun gewohnt hat, sowie das musikalisch wie auch textlich ausgefeilte „Du weiszt“, das zusammen mit den Düsseldorfer Rappern Koljah und Tai Phun aufgenommen wurde.
Zu guter Letzt bekommen auch die ParteiarbeiterInnen noch was ab - mit einem Zitat aus einem der populärsten Egotronic-Titel... „Ich habe 'ne eigne Meinung und das macht mich glücklich wie noch nie, ich darf sie sogar laut sagen, doch stimmen tut sie nie, darum lass ich jetzt das Denken, das bekommt mir ja nur schlecht, denn die Partei hat immer recht“.
Bleibt nur noch zu sagen: „Rockt die Scheiße!“
Quelle: linxxnet.de
Die richtige Einstellung
Title
01 Luxus
02 Du weiszt (feat. Koljah & Tai Phun)
03 Maybe Someday
04 Von nichts gewuszt
05 Exportschlager Leitkultur
06 Die Partei
07 Die richtige Einstellung
08 V36
09 Immer so weiter
10 And The Beat Goes On (feat. Plemo)
11 Maybe Someday, Saalschutz Remix
12 Pilze
13 Goldene Winkekatze
Genre: Elektro64Punk
Bitrate: 190 kBit/s (VBR)
Year: 2006
Lustprinzip
Title
01 Raven gegen Deutschland
02 Lustprinzip
03 Der Tausch (feat. Kulla)
04 Nicht nur Raver
05 XTC-Boy (feat. Tina & Plemo)
06 Meine Sonnenbrille
07 Ich kann dich fahren (vs. Sedlmeir)
08 Hip Cool Sexy
09 Verliebt
10 Die Zehn wird nicht geschrieben
11 Afterhour
Genre: Elektro64Punk
Bitrate: 192 kBit/s
Year: 2007
6 Kommentare:
danke für den upload!
iPod oder Macbook oder oder oder kostenlos - KEIN FAKE!!!
also meine favoriten sind immer noch "von nichts gewusst" und "du weiszt". geile uploads :O grüße, egotronic von nixpop
Egotronic kann schon was und antideutsche Politik ist auch nicht gerade im Unrecht, solang sie nicht auf Kriegstreiberei setzt. Nur dieses andauernde Fordern von "Luxus für alle" ist einfach nur dümmlicher kapitalistisch-hedonistischer Schwachsinn. Bin auch fürs Prinzip alles für alle und jeder nach seinen Bedürfnissen, doch davon auszugehen, das wir in dem Luxus, der im Westen besteht, so weitermachen und weiterleben können, ist eine Fehlannahme: Damit geht es nur bergab.
Zu "Heimatschutz Anticastorbewegung": Dazu muss man überhaupt nicht anti-deutsch sein, alles kommt nur von einem lustigen Vorfall, als einige Nazis Umweltschutz mit Heimatschutz gleichgesetzt haben. Beitrag bei focus
soeinen mist selten gehört
die richtige einstellung ist leider down.. reup? :)
und kapitalistisch-hedonistischer Schwachsinn ist näher an dem was man utopie nennt, als wwtyd's herrlich bezeichnende, linksdeutsche "Analyse"..
Kommentar veröffentlichen