In der junge Welt von heute ist ein Interview mit Dota Kehr, die wir hier unlängst ausführlich vorgestellt haben.
Eigenvertrieb und Sibirientour sind zu empfehlen. Ein Gespräch mit der Kleingeldprinzessin
Interview: Robert Best
Ausverkauft und gut war es, sagt Dota Kehr (28). Die Berliner Sängerin, besser bekannt als Kleingeldprinzessin, hat am Vorabend im Hauptstadt-Club Lido ihre neue Live-CD »In anderen Räumen« vorgestellt. Beim Auftakt ihrer aktuellen Tour war Kehr auch die Veranstalterin. Umso unglücklicher ist sie, daß der Türsteher einigen Gästen den Zutritt verweigerte: »Mein Publikum ist für gewöhnlich weder mit Gaspistolen noch mit Schnappmessern ausgestattet, und trotzdem wurde jeder belästigt – mit Leibesvisitationen.« Ein Wort, das aus ihrem Mund wie der Titel eines neuen Songs klingt, wie »Erledigungszettelschreiber«, »Menschenklone« oder »Die Funktionalisierer«.
Kluge Texte, gesungen zur Gitarre, dazu Jazzelemente – diese Mischung zieht. In den letzten fünf Jahren hat sich Kehr eine beachtliche Fangemeinde erspielt, und eine Einladung des Goethe-Instituts für eine Tour durch Sibirien. Begleitet wurde sie von Janis Görlich (Drums, Percussion), Sebastian Vogel (Bass), Jan Rohrbach (Gitarre).
Die gleiche Combo (plus Jonas Heuer am Akkordeon) hat auch die Instrumentierung der sechsten CD »In anderen Räumen« besorgt. Außer in zwei Berliner Läden wird sie nur auf Konzerten und über die Internetseite kleingeldprinzessin.de verkauft.
Bei Ihren Konzerten sitzen die Leute manchmal im ganzen Saal auf dem Fußboden und schauen mit glänzenden Augen zu Ihnen auf. Ist das normal?
Wenn ich ohne Band auftrete, spiele ich oft für sitzendes Publikum. Ich finde das gut, weil bei den Solokonzerten die Texte im Vordergrund stehen. Man kann im Sitzen einfach mit mehr Ruhe zuhören.
»In anderen Räumen« ist Ihre zweite Live-CD. Was ist Sinn und Zweck von Live-CDs?
Auf Live-CDs haben die Stücke oft mehr Lebendigkeit. Im Studio fängt man schnell an, alles kontrollieren zu wollen.
Sie haben Ihr eigenes Label. Wollten Sie das von Anfang an so?
Ich wollte meine Demos nicht direkt in die Papierkörbe von Plattenfirmen schicken und meine Musik nicht von irgendwem zurechtschneidern lassen, bis sie einer bestimmten Zielgruppe paßt. Sie sollte lieber direkt bei den Leuten ankommen, die sie gerne hören. Am Anfang habe ich meine CDs selbst zu Hause gebrannt und auf Konzerten verkauft. Dann hatte ich irgendwann das Geld zusammen, um die erste pressen zu lassen. Eine CD hat dann immer die nächste finanziert. Ich habe auch nichts dagegen, wenn Leute meine CDs brennen, bloß bei der aktuellen sehe ich das nicht gerne, weil sie sich erst einspielen und die nächste finanzieren muß. Ein eigenes Label kann ich jedem Musiker nur empfehlen.
Sie haben auf der Straße angefangen. Spielen Sie da immer noch?
Damals bin ich mit Freunden verreist und habe mit Straßenmusik das Weiterreisen finanziert. Für den Hut spiele ich immer noch manchmal, aber selten draußen, das zerschrotet die Stimme so sehr, und die brauche ich gerade zu häufig.
Sie waren in Brasilien, sprechen Portugiesisch und auch die Homepage ist zu Teilen übersetzt. Wann erscheint die erste CD in Brasilien?
2003 habe ich in Fortaleza eine CD mit brasilianischen Musikern zusammen aufgenommen. Sie heißt »Mittelinselurlaub – perto da estrada« und ist auch in Brasilien erschienen.
Vor zwei Jahren hat Sie das Goethe-Institut auf Tour durch Sibirien geschickt. Stellen Sie sich vor, Sie hätten als jW-Auslandskorrespondentin zu berichten …
Ins Auge gesprungen ist mir in Moskau das riesige Militäraufgebot in der Öffentlichkeit. Es bettelt niemand, es gibt keine Straßenmusik. Vielleicht ist das verboten. Sibirien schien ziemlich arm zu sein. Dafür sind die Leute, vor allem die Frauen, todschick. Herzlich und gastfreundlich sowieso. Obwohl es nicht so wahnsinnig kalt war, waren alle Räume prophylaktisch auf 35 Grad geheizt. Wir sind alle krank geworden und mußten viel Wodka trinken.
Ihre Texte sind lustig und gefühlvoll, aber auch politisch, oft alles zusammen. Sehen Sie sich in einer Tradition politischer Liedermacher?
Schwierig. Ich schätze die präzise und gut geschriebene gesellschaftliche Beobachtung mehr als den erhobenen Zeigefinger. Woher sollte ich das Recht nehmen, mich als moralische Instanz aufzuspielen?
Darf man das als Künstler nicht?
Nein. Außerdem liegt Qualität ja nicht nur in der Aussage, sondern vor allem in der Form, in der Verknüpfung von Ideen, im Erschaffen von Bildern, in Reim und Rhythmus und Sprachklang.
Sie singen über permanent frisch strahlende Tomaten und allgegenwärtige Kameras. Sind Genmanipulation und Überwachungswahn dankbare poetische Themen?
Auf jeden Fall. Überwachung zum Beispiel ist ein Thema, das gesellschaftliche Dimensionen hat und gleichzeitig einen emotionalen Zugang erlaubt. Bei anderen Themen ist das schwieriger: Ich glaube, es würde mir schwer fallen, ein Lied über die Renten- oder die Gesundheitsreform schreiben.
Wie kann es politischen Texten gelingen, beim Hörer mehr als ein gewisses sozialdemokratisches Unbehagen zu bestätigen?
Durch eben den emotionalen Zugang. Wenn der Hörer merkt: »Oh, das betrifft mich ja auch«. Bei Texten wie diesen: »Ganz nebenbei weiß deine Krankenkasse längst, was du im Supermarkt kaufst und ob sie dich schon kennen bei der Polizei. Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. Verdächtig macht sich schon, wer diesen Wahnsinn flieht. Doch Rechtschaffenheit liegt im Ermessen der Betrachter, die man nicht sieht.«
Sie studieren noch Medizin. Wollen Sie in dem Beruf arbeiten?
Ich denke, nicht.
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