Zwölf Jahre nach Ihrer Trennung, sechs Jahre nach Ihrem letzten (Reunion-)Konzert und zwei Jahre nach Konrads Tod noch schöne Artikel zu finden, ist ganz schön schwer. Wer denkt noch an die Tauben?
Glücklicherweise sammeln die Jungs und Mädchen von zitroneneis.de Artikel, unter anderem auch von den Brieftauben. Dort bin ich auf einen Bericht aus der Zillo von 1992 gestoßen, den ich für Euch über die OCR-Erkennung laufen lassen habe.
Spurensuche
Abstürzende Brieftauben
Teenie-Stars oder mehr?
Über die musikalischen Qualitäten der Abstürzenden Brieftauben läßt sich streiten, was letztendlich auch auf den subjektiven Geschmack eines jeden Musikkonsumenten zurückzuführen ist, solange es aber Käufer/Fans für eine bestimmte Musik gibt (und 100.000 verkaufte Exemplare von 'Der Letzte Macht Die Tür Zu" sprechen eine deutliche Sprache) hat sie auch eine Existenzberechtigung, oder sollte man Grenzen ziehen? Wo fängt Schwachsinn an, wo hört er auf?
Fühlten sich die Abstürzenden Brieftauben alias Konrad Kittner (29) und Micro Bogumil (24) durch den Zillo-Artikel "Absturz von Brieftauben" (4/91) auf den Schlips getreten, womit sie rechnen müssen, denn wer an die Öffentlichkeit geht, ist angreifbar, so wollen wir an dieser Stelle noch einmal auf sie eingehen. Leicht vorurteilsbelastet besuchte ich die Tauben in Konrads Wohnung in Hannover und konnte in einem über dreistündigen Interview einige Vorteile abbauen, offenbarte sich im Gespräch doch auch die menschliche Seile der beiden, die wesentlich interessanter als die musikalische Seite ist. Vorbei an leeren Flaschen bahnte ich mir den Weg ins Wohnzimmer, das sich nicht als Luxus-Hütte entpuppte, sondern vielmehr als heimelige Punk-Höhle, und auch Konrad und Micro stellten sich nicht als die von den BRAVO-Berichten bekannten Poser-Punks heraus.
Fun-Punk, früher Markenetikett, heute Schimpfwort. Warum sträuben sie sich heute gegen diese Bezeichnung? Konrad: "Das stimmt überhaupt nicht. Als wir vor acht Jahren angefangen haben, paßte die Schublade Fun-Punk am meisten, dann hat's ein paar Jahre gedauert und Fun-Punk war das angesagte Ding, jeder ist auf den Zug aufgesprungen. Und wie das so mit gehypten Wellen ist, ein Jahr später ist es mega-out. Wer Fun-Punk macht ist bekloppt, Kümmert mich eigentlich wenig, ob diese Welle nun totgesagt ist, weil, isse nicht. Nur weil die Welle jetzt verebbt ist, brauch ich nicht zu sagen, wir machen jetzt Punk-Metal. Brieftauben sind irgendwie nicht out, da wir noch immer Platten verkaufen."
Wobei wir wieder bei der Einleitung und den 100.000 Platten wären. Geld regiert bekanntlich die Welt, aber da wäre noch die Punk-ldeologie. Können die Tauben das in Einklang bringen, als Punks, die dicke Kohle einzufahren? Sachlich erläutert Konrad: 'Ja, das kann ich in Einklang bringen. Gerade weil die Musik und die Band das ist, was ich machen will, und wenn ich damit Geld verdienen kann und davon leben kann, was besseres kann ich mir doch nicht vorstellen."
Stilecht (?) der Einwurf von Micro: "Wer will schon gerne arbeiten?" Mal ganz ehrlich, wer würde diese Alternative, wie sie die Tauben exerzieren, nicht auch dem täglichen Gang ins Büro oder Fabrik vorziehen? Die Brieftauben stehen in dem Ruf eine Kindergartengang zu sein, sozusagen pubertären BRAVO-Punk zu spielen. Leider konnte ich in meinem Bekanntenkreis (Altersklasse 18 bis 26) niemanden ausfindig machen, der voll hinter den musikalischen Fertigkeiten der zwei steht. Wie sehen sie ihr Publikum? Konrad bezieht mit dem April-Zillo (1991) in der Hand Stellung: "Also, so wie es hier im Artikel steht, daß es 10-14jährige Fans sind, ist nicht wahr. Als die Fun-Punk-Welle ganz oben war, da waren viele Kids dabei, als die Welle verebbte ist unser Publikum im Schnitt 2 Jahre älter geworden. Ein paar Kids sind immer noch dabei, aber auch Leute bis 22-23 Jahre."
Betrachtet man die Texte, die wohl den Schwerpunkt der Tauben-Musik ausmachen, ist der Schluß zu einem Teenie-Publikum aber doch nicht zu abwegig. Konrads Meinung dazu: "Das sind Dinge, die wir teilweise sebst erlebt haben, ein bißchen weitergesponnen und übertrieben. Ich bin nun auch nicht mehr 14, versuch mich aber auch nicht unbedingt als 29 zu verkaufen, älter kann ich immer noch werden, aber ich münz die Texte nicht unbedingt auf 14-16jährige." Schlagfertig antwortet Micro auf die Frage, ob sie sich damit nicht doch ihr Publikum selber eingrenzen: "Das Publikum grenzt sich selber aus, wenn es sich sowas nicht mehr anhört. Es gibt viele Leute, die meinen, für irgendwas irgendwann zu alt zu sein, das ist dann deren Problem."
Wenden wir uns nun dem leidigen Thema des immer seltsamere Blüten treibenden Neo- Faschismus und Nazitums mit seinen neuen alten Parolen zu, dessen Auswirkungen die Tauben allein aufgrund ihres Erscheinungsbildes mit bunten Haaren, zerrissenen Klamotten und Ohrringen tagtäglich ausgesetzt sind, passen sie doch so gar nicht in das Bild des sauberen Deutschen. Trotz massiver Randale, speziell bei Auftritten im Osten, seitens braun verblendeter Deutscher, auf Anrufbeantworter gesprochenen Morddrohungen und offenen Anfeindungen stecken die Tauben nicht den Kopf in den Sand und verschließen nicht die Augen - wie die Generation vor uns - vor den zunehmenden rechtsradikalen Tendenzen. Texte gegen Faschismus und Ausländerfeindlichkeit nimmt man solchen Bands/Menschen, die von diesem Haß ebenfalls betroffen werden, eher ab, als das Betroffenheitsgedusel eher unbeteiligter Personen ä la Grönemeyer und Co.
Scheint es ein Widerspruch zu sein, einerseits humorvolle Texte zu schreiben und andererseits Ernsthaftigkeit zu demonstrieren, so klappt es bei den Tauben. Als Beispiele seien die Songs "Räubermärchen' (gegen Rechts) und die neue Single "Eine Muh, Eine Mäh" (gegen Ausländerfeindlichkeit) genannt. Mit der Veröffentlichung der neuen Single in der Karnevalssaison schlagen die Tauben gleich zwei Fliegen mit einer Klappe, zum einen wird die Kohle aufgrund des mitgrohltauglichen Refrains und Karnevalseignung sicherlich reichlich fließen, aber unter den Mitgröhlern werden auch jene besoffenen, dumpfdoofen, ewiggestrigen Deutschen sein, die, ohne mitzudenken, eine neue Parole brüllen werden und nicht merken, daß der Text gerade gegen sie gerichtet ist. Ob nun die finanziellen Aspekte oder mehr die politischen Leitmotive bei der Veröffentlichungspolitik eine Rolle gespielt haben, sei dahingestellt. Diesem antifaschistischen Engagement sollte man, auch wenn die musikalischen Qualitäten mehr oder minder zweifelhaft sind, Respekt zollen, und wer die Tauben auch nicht mögen sollte, sollte sie nicht verdammen, sondern vielmehr tolerieren, ansonsten bewegen wir uns bald wieder in den Grenzen von 33-45.
Quelle: Zillo Bericht, Nr. 3 März 1992 (auf zitroneneis.de, OCR-Bearbeitung von mir)
Der letzte macht die Tür zu
Title
01 Morg'n
02 Machs noch einmal Gabi
03 Ich will schlafen
04 Der letzte macht die Türe zu
05 TV-Party
06 Alibi
07 Du nervst
08 Aber klar
09 Konrad K.
10 Räubermärchen
11 Hör auf
12 Ich will nicht nach Hause
13 Vorbei
Genre: Punk Rock
Bitrate: 256 kBit/s
Year: 1990
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen