ursprünglich am 10.07.08 vorgestellt
Auch dieses Album wird uns von unserem treuen Leser Simon3rd vorgestellt.
Britta sind übrigens zur Zeit in Österreich auf Tour:
12. Juli 2008 20:00
Britta auf dem Donaukanalinseltreiben Wien
25. Oktober 2008 20:00
Britta beim Steirischen Herbst in Graz
Ein Knaller aus Berlin
Von Pinky Rose
Nah am Alltag, fordernd, böse, freudig erregt… Die Gruppe Britta besingt auf ihrer neuen Platte Das schöne Leben: "Ist das noch Bohème oder schon die Unterschicht?“ – So treffend kann Musik mit deutschen Texten sein!
Das schöne Leben , riskant, so ein CD-Titel. Doch um Durchhaltepop der neuen Neuen Deutschen Welle geht es der Berliner Band Britta nicht, wenn sie die heiklen Themen der gesellschaftspolitischen Gegenwart besingen. Passend zu aktuellen Schlagzeilen wie „Die prekäre Generation“ fragen die vier Musikerinnen und Musiker Wer geht putzen und Wer wird Millionär? und antworten im Refrain Wer schon hat, dem wird gegeben / und für uns bleibt nur das schöne Leben. Während die Verlagshäuser wohl manchen Euro machen mit ihrer Sensationspresse über zusammenbrechende Sozialsysteme, rebellierende Jugendliche und Kriminalität an den Schulen, bekennen Britta: Für uns heißt es weiter / rechnen, krebsen, wursteln, durchschlagen.
Der jüngsten Erfolgsgeschichte deutschsprachiger Popmusik nach der Art von Wir sind Helden zum Trotz, war Brittas Geschichte von Anfang an keine, in der sich Held auf Geld reimte. Als Sängerin und Gitarristin Christiane Rösinger, aus dem badischen Hügelsheim stammend, Ende der achtziger Jahre mit Almut Klotz die Lassie Singers gründete, übersetzten sie den Zorn des Riot-Girl-Punk in mehrstimmigen Mädchengesang. Wo spätpubertäre Jungmännergilden bis heute in der alternativen Rockmusik wahlweise nölen oder grölen, schufen zuerst die Lassie Singers und später Britta eine ganz eigene Form der wehrhaften Melancholie, die für viele Fans zur persönlichen Tonspur mehrerer Lebensabschnitte wurde.
Nach etlichen Platten und Jahren schlecht bezahlten Tourens lösten sich die Lassie Singers auf und ein Teil von ihnen, Christiane Rösinger und Britta Neander, fing 1997 neu an. Schlagzeugerin Neander gab ihren Vornamen, und mit Bassistin Julie Miess entstand die Band Britta, zu der von der zweiten Platte an Barbara Wagner hinzustieß, um der Gitarre mehr Volumen zu geben. Zudem gründeten Rösinger und Klotz 1998 ihr eigenes Plattenlabel Flittchen Records.
Seit ihrem Debut Irgendwas ist immer ist Brittas wehmütiger Schrammelpop nicht mehr wegzudenken aus dem Chor der Berliner Popmusik. Ihm gab Christiane Rösinger ihren warmen hellen Alt als Stimme – und ihre Geschichten über politische Desillusionierung und über die Liebe als Konstrukt. Hinter den lebensklugen Texten und der leisen Selbstironie steckte immer ein mildes, weises Lächeln. Auch wenn es auf der zweiten Platte Kollektion Gold hieß Wir sind die traurigsten Menschen von ganz Berlin – das „na und?“ lief wie ein Untertitel im Film mit.
Doch manchmal geht dem mutigsten Melancholiker die Puste aus. Durch die Pleite des EFA-Vertriebes verlor Flittchen Records fast alle Einnahmen des dritten Albums, Lichtjahre voraus , dann starb im Dezember 2004 Schlagzeugerin Britta Neander nach einer Herzoperation. Christiane Rösinger wurde krank. Während frühere Weggefährten wie Blumfeld längst zu größeren Plattenfirmen gewechselt sind, Die Sterne Jahr um Jahr durch ausverkaufte Konzerthäuser touren und sogar alte Achtziger-Hasen wie Fehlfarben die Neuauflage ihres Nonkonformistenpop feiern dürfen, sah es für Britta nach einem endgültigen Abschied aus.
Schön, dass es dazu nicht kam, denn die jetzt veröffentlichte vierte Platte ist in jeder Hinsicht ein kleines Wunder. Nicht nur, weil sich die drei Frauen wieder aufgerappelt, zusammen mit Kante-Schlagzeuger Sebastian Vogel und Tausendsassa Herman Herrmann als Produzent den Neustart gewagt und in dem Elektroniklabel Morr Music einen neuen Finanzpartner gefunden haben – Das schöne Leben ist ein Knaller, ein Popjuwel geworden. Glasklar und fordernd in den Arrangements verbreiten die Melodien eine unerwartet freudige Erregung, wie aus dem Unterbewusstsein aufgetaucht erzeugen hier ein paar Mandolinen und dort ein Cello anrührende Schönheit. Nur scheinbar gezähmt grollt die E-Gitarre im letzten übrig gebliebenen Lied über die Unmöglichkeit der Liebe, und natürlich rocken Britta auch ordentlich zu Fragen wie Ist das noch Bohème oder schon die Unterschicht?
Selbst wenn Christiane Rösinger wieder mal den Debattierclub der vom Berliner Nachtleben geschädigten Misanthropen leitet, macht das zu den aufwärts trudelnden Kadenzen, Gitarrenriffs und kecken Bassläufen richtig Spaß. Ein frischer Tusch auf dem Schlagzeug, und alle kriegen in Menschenfeind ihr Fett weg, die lieben Freunde und Seelenverwandten ebenso wie junge Spießer, Pradafrauen, ... höhere Töchter, bessere Söhne. Wobei sich der Abgrenzungswille hier ebenso an der Überschneidung der sozialen Zugehörigkeiten bricht wie bei der Unterscheidung zwischen Bohème und Unterschicht. Die neueren Bröckelbiografien in der Popkultur gehören längst auch jungen Leuten aus besserem Hause, die kaum weniger Mühe haben, von ihrer Nischenkunst den Lebensunterhalt zu bestreiten, und in welche Bohème Britta eigentlich mit einem gesungenen Heine-Zitat verweisen, steht noch zur Diskussion.
Von der anderen Seite aus schildert es der Song Büro Büro . Ein entfernt nach Akkordeon klingendes Keyboardmotiv und ein beschwingter Hauch von Musetteseligkeit erinnern an die Chansons der französischen Widerstandsbewegung. Lässig wird ein Dasein jenseits hektischer Werktätigkeit beziehungsweise freiberuflicher Scheinproduktivität gefordert. Smoke on the water, Baby , von wegen Endloswachstum und Vollbeschäftigung, alles Schall und Rauch. Das Nichtarbeiterlied der Zukunft? Bloß nicht zu früh aufstehen, das legt schon der erste Song der Platte nahe und versetzt zugleich in beste Laune beim Mitsingen: Depressiver Tag, ich sag Hallo, zeig mir dein schäbiges Gesicht. Depressiver Tag, du machst mich froh, komm und enttäusche uns nicht.
Und zum Glück ist es Musik – und von Britta, zum Glück ist es eben doch Kunst und nicht eins zu eins die politische Wirklichkeit. Wer würde schon gerne mit solchen Zeilen von seinem Berater in der Agentur für Arbeit geweckt werden? Nein, diese Platte kommentiert nicht den Alltag, sie durchdringt ihn – und sei es mit einem liebenswerten Kinderspuk, der plötzlich in Ich und Es als Schatten der Selbsterkenntnis neben dir im Supermarkt steht oder am Cafétisch Platz nimmt. Am Ende will auch eine hartgeprüfte Subkulturpistengängerin wie Frau Rösinger, Verfasserin entsprechender Essays in der taz -Kolumne „Ausgehen und Rumstehen“, nur noch Heimi Heimato ... nach Kissingen und Bettingen. Ein mitreißender Rausschmeißer beschließt Das schöne Leben , ein unter den Säuferballaden aller Jahrhunderte seltenes Frauentrinklied für die letzte Bestellrunde. Vorm inneren Auge sieht man sie im rosa blühenden Bäumchen auf dem CD-Cover hocken, die schwarzen Krähen von Britta: Sie sind immer noch gefährlich.
Das schöne Leben
Title:
01. Depressiver Tag
02. Wer wird Millionär
03. Du sprichst in Rätseln
04. Menschenfeind
05. 24 Stunden sind kein Tag
06. Seltsam Seltsam
07. Monster
08. ballade pour m.
09. Ich und Es
10. Dieses Mal
11. Büro Büro
12. Heimi Heimato
Year: 2006
Genre: Alternative
4 Kommentare:
Link ist leider down. Besteht die Chance, dass er aktualisiert wird?
für mich bitte auch
ich wär auch an einem re-up interessiert. bitte-bitte!!
Eine Aktualisierung fänd ich auch gut.
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