Endo Anaconda ist Sänger der Band Stiller Has aus der Schweiz. Auf der Veranstaltung zum 1.Mai, also dem Internationalen Kampftag der ArbeiterInnenbewegung, hielt er eine Rede, die immerhin soviel Beachtung fand, dass sich der Kommunistenfresser Christoph Mörgeli von der SVP mit einer Kolumne in der Weltwoche äußerte.
Auch dieser Beitrag ist hier dokumentiert.
Angemerkt sei noch, dass die Schweizer GenossInnen zum 1. Mai mehr Leute mobilisieren (15.000), als wir in unserem Kölle (wohlwollend 5.000). Berücksichtigt man die unterschiedliche Größe der beiden Städte, müssten in Köln knapp 40.000 Leute auf die Straße gehen. Und soviel ich weiß, beteiligen sich in Zürich die Sozialdemokraten nicht am 1. Mai. Würde man nun also von der Kölner Mai-Demo alle Sozis abziehen, dann wäre nicht mehr viel übrig.
Endo Anaconda
1. Mai Rede in Zürich, Bürkliplatz (01.05.09)
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Winter ist vorbei, Frühlingsgefühle stellen sich deswegen aber noch lange nicht ein. Ohne die aufmunternden Neujahresworte unseres Bundespräsidenten hätten wir diesenWinter wohl nicht überstanden. Merci, Hans – Rudolf Merz, dass Sie mit uns fühlen. Die Darstellung des Schweizervolkes als zähes frostresistentes Bergkraut lässt uns ahnen, dass wir nächstens wohl noch einiges auf die Kappe kriegen.
Als Kulturschaffender kommt man mit allen Schichten der Gesellschaft in Kontakt, ohne wirklich irgendwo dazu zu gehören. Als Künstler habe ich im Gegensatz zur grossen Mehrheit der Bevölkerung das Privileg, mich öffentlich äussern zu können. Im Unterschied zu einem Politiker muss meine Meinung in keine Parteischublade passen, aber ich habe noch nie in Geheimnis daraus gemacht, dass mein Herz, so wie es anatomisch richtig ist, links schlägt.
Genaugenommen ist das erst die zweite 1. Mai Rede in meinem Leben. Meine erste Rede hielt ich vor 35 Jahren. Da war ich noch ein verwirrter Jungkommunist und wollte ums verrecken den Staat zerschlagen. Zum Glück haben wir nicht gewonnen, wir wären erbärmlich gescheitert. Heute wehre ich mich für jeden Rest Sozialstaat, der uns noch geblieben ist.
Jetzt, da die neoliberalen Konzepte zusammen mit den wertlosen Wertpapierhalden bloss noch für den Schredder taugen, schreien die Global-Player plötzlich nach dem Staat, den sie zuvor abschaffen wollten. Wie ein Kind, das nach der Mama schreit. Und Mama Helvetia hilft, schickt prompt das Milliarden-Carepaket, damit der arme lernbehinderte Goof sich wenigstens den Bonisalat reinschaufeln kann. Und zwar ohne politische Kontrollmöglichkeiten durch den Souverän.
Als wäre nichts passiert. Kaum hat der letzte kantonale Volkswirtschaftsdirektor gelernt das Wort „Shareholder“ richtig auszusprechen und kapiert, dass es sich dabei nicht um ein englisches Wort für Coiffure handelt, da war es mit dem neuökonomischen Zauber auch schon wieder vorbei. Kaum oben und schon wieder unten.
Lassen wir uns die Freude am 1. Mai trotzdem nicht nehmen, obwohl von einer wirtschaftlichen oder gar sozialen Klimaerwärmung überhaupt nichts zu spüren ist. Höchstens von einer klimatischen. Die Zahl der Konkurse, Arbeitslosen und Kurzarbeiter steigt in schwindelerregende Höhen und zwar weltweit. Hinter den Statistiken verbergen sich menschliche Schicksale, Familien die ins Elend gestürzt werden. Weltweit werden bald eine Milliarde Menschen als Folge der Finanzkrise vom Hungertod bedroht sein.Der internationale Monopolikapitalismus hat historisch ausgewürfelt, nur die Mitspieler haben es noch nicht bemerkt.
Die Finanzblase kann man einrollen und granulieren, den Kapitalismus bald nur noch schnupfen, wie die Kokainderivate der Drogenbarone.
Jetzt stehen wir da und müssen fassungslos zuschauen, wie dieser monströse Finanztumor die reale Wirtschaft frisst, unsere Arbeitsplätze, unsere Altersgroschen, die wirtschaftliche Zukunft der nächsten Generationen und des ganzen Planeten, wenn sich nicht grundsätzlich weltweit etwas ändert.
Wenn man weiter nur auf den nächsten Aufschwung wartet, ohne das ausser Rand und Band geratene Finanzkapital zu bändigen, wartet man bloss auf die nächste Katastrophe. Die bürgerlichen Parteien, finanziell von den Geldern der Banken abhängig, stellen diese Krise zum Zwecke der Machterhaltung, als eine Art Naturkatastrophe dar, um von ihrer Verantwortung abzulenken. Sie beschwichtigen, der Bankrott wird als eine Art ökonomischer Schnupfen dargestellt, der dann schon wieder vorbei geht, wenn man nur genügend Salbe anmacht und rüber schiebt. „Hedge-Fonds“ tönt ja auch wie ein Schnupfen.
„Gesundheit! “ kann man da nur wünschen, was aber nichts nützt, wenn man die Ursache der Krankheit nicht bekämpft.
Weil diese Krise nichts anderes ist, als eine Art Schweinegrippe des Finanzkapitals.
Klar, meine ich das zynisch. Tatsache ist aber, dass sich das Kapital wie ein Virus verhält, dessen einziger Daseinszweck die eigene Vermehrung ist. Ein primitiver Organismus ohne Moral.
Ins Leben gesetzt durch das fatale Zusammenspiel dummer Erben und Kapitalisten, falscher politischen Ideen und der empörenden „Gier ist geil“ – Moral der Sachwalter des Kapitals, à la Ospel, Madoff etc., welche ihre Macht dazu benutzen um in ihre eigene Tasche zu wirtschaften und sich als eine Art neue Aristokratie aufspielen. Diese Leute sind gar nicht fähig mittel – oder langfristig zu planen. Sie sind mit ihrem Denken bewusstseinsmässig in ihren Quartalsabschlüssen gefangen.
Die sind wie Dagobert Duck auf Crack, haben jede Bodenhaftung verloren und eigentlich müsste man sie therapieren, weil ihr Suchtverhalten pathologisch ist. Oder wenigstens als Realityshow im Container Format vermarkten.
Das würde die Quoten heben, mit den Werbeeinnahmen könnten die dann auch ihr Scherflein dazu beitragen, den Schaden den sie angerichtet haben, zu berappen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen wir uns deswegen unsere Lebensfreude nicht nehmen, schliesslich haben wir ja nur dieses eine Leben.
Die Lage ist beschissen, aber wir dürfen uns nicht hinunterdrücken lassen. Wir müssen die Faust aus dem Sack nehmen. Für den Erhalt und die Erhöhung der Reallöhne. Für die Sicherung der Arbeitsplätze und unserer Sozialwerke. Für anständige Mindestlöhne. Das es in diesem Land Workingpoors gibt ist eine Schande.
Ich bin ja nicht gegen den Reichtum, nur gegen die Armut! Armut ist keine Schande, höchstens für die Reichen. Die Arbeit muss wieder aufgewertet, die Realwirtschaft gestärkt und der ökologische Umbau entschieden vorangetrieben werden. Der Staat muss massiv in Infrastruktur, Bildung, Umweltschutz und Kultur investieren. Die Milliarden sitzen doch sonst auch locker.
Helvetia darf nicht nur die Mutter der Nummernkonten sein.
Der Staat soll stellen und nicht legen.
Vor allem aber müssen wir aufhören zu jammern, uns zusammenschliessen und nach vorne schauen. Das Primat der Ökonomie über die Politik wird bald vorbei sein und der Neoliberalismus wird in der Rumpelkammer der Geschichte landen. Wir brauchen neue Perspektiven, weil der ausgeflippte Finanzkapitalismus die Produktivkräfte hemmt die wir benötigen um die Welt ökologisch umzubauen, falls wir beabsichtigen unsere Präsenz als menschliche Gattung auf diesem Planeten noch um ein paar tausend Jahre zu verlängern.
Zu den Produktivkräften zähle ich auch Artenvielfalt, Klima, die Luft und das Wasser. Dieses System hat alles zur Ware gemacht, sogar mit der Luft wird Mittels Co2-Kompensationen schon spekuliert, der Krieg ums Wasser hat schon lange begonnen und Grosskonzerne schicken sich an, die Kontrolle über die Welternährung zu übernehmen.
Diese Krise birgt auch eine Chance, es kommt nur darauf an, was wir daraus machen. Wir haben die historische Chance etwas zu ändern. Vorher hätte man uns ja nicht geglaubt, jetzt ist die Katastrophe wenigstens offensichtlich.
Lasst euch den Mumm nicht nehmen. Eine neue Welt zu bauen kann Spass machen, glaubt mir. Schliesslich bin ich ein echtes Kind des 1. Mai und Marxist weil ich ein Fan von Chico, Harpo, Groucho, Gummo und Zeppo Marx bin.
Zudem verehre ich neben Karl May auch Karl Marx, der hat ein paar gescheite Sachen über die Krise geschrieben. So rufe ich euch denn zu, Indianer aller Länder vereinigt euch, schliesslich haben wir alles zu verlieren.
Widerstand ist sexy, bleibt gesund und Dankeschön fürs Zuhören
Kapitalistischer Antikapitalismus
Von Christoph Mörgeli
Weltwoche vom 07.05.2009
Der Kapitalismus ist in der Krise, am Ende, tot. Glauben die Linken. Und liefern gleichzeitig den Gegenbeweis: Denn niemand versucht zurzeit so sehr, Kapital aus der Kapitalismuskrise zu schlagen, wie die Antikapitalisten.
Dabei handeln die Akteure ganz nach dem offenbar quicklebendigen kapitalistischen Angebots- und Nachfrageprinzip. Diese unschlagbare Formel wirkt selbst dann, wenn Bedarf ist nach antikapitalistischer Rhetorik.
Wo die Kunden rufen, steht ein Lieferant bereit.
Am vergangenen i. Mai, zum Tag der Arbeit, wurde besonders laut gerufen. Ein Lieferant brandaktueller antikapitalistischer Rhetorik ist der Musiker Endo Anaconda.
Seine Diagnose, die er an der Kundgebung in Zürich zum Besten gab: «Diese Krise ist die Schweinegrippe des Finanzkapitalismus.»
Eine zufällige Zuordnung. Würden in diesen Tagen ein paar englische Kühe die Augen erdrehen, hätte der Finanzkapitalismus den Rinderwahn. Nun drängt sich halt die Schweinegrippe auf. Und es kichert der zoologisch bewanderte Sozi: Sind die Finanzhaie denn nicht irgendwie auch Schweine? Ein bisschen Medizin (Schweinegrippe), ein bisschen Ökonomie (Finanzkrise), ein bisschen Sozialismus («Lest endlich Marx!»), und fertig ist das antikapitalistische Süppchen.
Wer um jeden Preis aktuell sein will, hechelt immer der Zeit hinterher. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits Entwarnung durchgegeben: Der Schweinegrippevirus ist weniger gefährlich als befürchtet. Mindestens die Hälfte seiner Symptome müssen der menschlichen Hysterie zugeschrieben werden. Gesundet nun mit der Schweinegrippe auch der Finanzkapitalismus? Endo Anaconda hält dagegen. Er will «das Primat der Ökonomie» stürzen. Gegenüber der Gewerkschaftszeitung Work beschreibt der Sänger, wie er sich die Zukunft seiner Kinder wünscht: Sie sollten Zeit haben, sich zu entwickeln (also möglichst lange nicht arbeiten), nicht bis 68 krüppeln müssen (also weniger lang arbeiten) und über ein Grundeinkommen von 3500 Franken verfügen dürfen (also gar nicht arbeiten).
So viele Ideen. Und jetzt, wo der Kapitalismus wankt, müsste doch mindestens so viel möglich sein. Doch Anaconda ist enttäuscht: «Die Linke macht zu wenig aus der Krise!» Nicht nur der Kapitalismus steckt in der Krise, auch sein Stiefgenosse: der Antikapitalismus.
Der Autor ist Historiker und SVP-Nationalrat.
Endo Anaconda
Vielleicht versuche ich es nächstes Mal mit einer 1.-August-Rede.
Tagesanzeiger vom 22.05.2009
Eigentlich meide ich Massenanlässe. Ich gehe höchstens zur 1.-Mai-Demo oder mit meinem Sohn an die BEA, diese heimelige Leistungsshow der Berner Wirtschaft.
Wegen der Nutztiere, dem Lunapark und den Degustationen, durch welche wir uns jeweils zu fressen pflegen. Mit den ewigen Swimmingpool-Pumpen und Minitraktoren können wir weniger anfangen. Diese Dinge sind doch wohl eher etwas für eine Sonderzone mit Park oder für Leute, die zu Hause ein Schwimmbecken oder wenigstens einen Whirlpool haben. In derlei Sprudelbädern bin ich allerdings wegen meiner Angst vor Virenbefall noch nie gelegen, weil sich höchstens Leute mit Bandscheibenproblemen oder Selbstmörder freiwillig allein in so einen Sprudeltopf setzen. Ich dusche lieber.
Interessanter für den Junior sind da schon die Kühe und die Säuli. Nie hätte ich mit der aufgebrachten Reaktion eines Säulizüchters wegen meiner 1.-Mai-Rede gerechnet, in welcher ich politisch unkorrekt die Finanzkrise mit der «Schweinegrippe» verglich. Der erboste Landmann verwehrte mir sogar die Hartwurstdegustation.
Die Branche fürchte wegen des Unworts Umsatzeinbussen.
Außerdem seien die Säuli, im Unterschied zu den Finanzprofis, irgendwann satt, wenn sie genug gefressen hätten.
Und solange sie ausreichend Platz zum Ausleben ihres Spieltriebs zur Verfügung hätten, äußerst soziale Tierli.
So hielten wir uns halt an die «Öpfelchüechli» mit einem Kaloriengehalt, welcher einem Indianerstamm am Orinoko einen Monat lang über die Runden helfen würde. Hernach gings noch für 10 Franken auf eine dieser unvermeidlichen Idiotenschleudern, danach degustierten wir retour.
Noch bevor der Ritt auf der Höllenmaschine absolviert war, plagten mich auch schon Zweifel an meiner 1.-Mai-Rede. Das Virus könnte sich andere Wege und Wirte suchen.
Büssi, Hamster, Hundeli, weiße oder schwarze Schafe oder gar Ziegen. Dann hätte die SVP ein Wahlkampfproblem auf der emotionalen Ebene, welche es in jeder Wahlkampfstrategie braucht, um das «Jööh, wie herzig»-Wählersegment zu bedienen. Zottel, das SVP-Maskottchen, dürfte nur noch mit Mundschutz auftreten.
Wenigstens finde ich meine Vergleiche manchmal selber unpassend.
Das ist halt der Unterschied zwischen einem linken und einem rechten Hofnarren.
Christoph Mörgeli empfindet die SVP-Plakatkunst wahrscheinlich immer noch als künstlerisch hochstehend, versuchte ich meine Aussagen für mich zu relativieren, während wir auf dem Riesenrad den Blick zum Jura hin schweifen ließen. Das erste Mal seit 35 Jahren «Völker, hört die Signale!», und gleich hört Christoph Mörgeli mit und wirft mir feixende linke Demagogie vor.
Nur weil unangeschnallt Auto fahren momentan immer noch gefährlicher ist, als durch die Schweinegrippe zu Schaden zu kommen.
Mit dem Vorsatz, nie wieder eine 1.-Mai-Rede zu halten, torkelten wir schließlich, noch immer schwindlig vom Hardcore- Karussell, nach Hause. Dort wartete bereits ein Mail eines mir bekannten Hobbyvirologen, welcher mir androhte, dass die Schweinegrippe nächstens zur Hasengrippe werden könnte, sofern ich weiter die Absicht hätte, abwertende Vergleiche zwischen der interessanten Welt der Viren und dem Börsengeschehen zu ziehen. Viren seien keineswegs nur primitive Wesen, deren einziger Daseinszweck die eigene Vermehrung ist, sondern im Gegenteil äußerst lernfähige, komplexe Organismen. Vielleicht versuche ich es nächstes Mal mit einer 1.-August-Rede.
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