Ver.di geht mit einer guten Forderung in die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes.
Ein Gespräch mit Bernd Riexinger
Interview: Daniel Behruzi
Bernd Riexinger ist ver.di-Geschäftsführer im Bezirk Stuttgart-Ludwigsburg und Mitbegründer der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
Die Bundestarifkommission der Gewerkschaft ver.di hat am Mittwoch beschlossen, mit einer Forderung von acht Prozent, mindestens aber 200 Euro, in die Tarifrunde bei Bund und Kommunen zu gehen. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Das ist eine gute Forderung. Wir hätten uns zwar gewünscht, daß die vom Landesbezirk Baden-Württemberg empfohlenen 9,4 Prozent übernommen werden, dennoch ist dies ein klares Signal für deutliche Reallohnerhöhungen.
Warum ist letzteres entscheidend?
In den vergangenen drei Jahren hat es für die öffentlich Bediensteten lediglich Einmalzahlungen gegeben. Darunter haben insbesondere die Geringverdiener gelitten, die mittlerweile ganz schön ums Überleben kämpfen müssen.
Steht diese Forderung nicht im Gegensatz zu dem, was in Teilen von ver.di und IG Metall infolge des Lokführerstreiks diskutiert wird, nämlich Spezialisierungen durch eine Differenzierung bei den Gehältern stärker zu berücksichtigen?
Diese Argumentation habe ich so bei ver.di noch nicht gehört. Eher schon wurde die Auffassung vertreten, die unteren Bereiche dürften nicht so stark angehoben werden, um Ausgliederungen aus dem öffentlichen Dienst und Fremdvergaben zu vermeiden. Mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD) wurde mit dieser Rechtfertigung ja sogar eine neue Niedriglohngruppe eingeführt. Von dieser Philosophie ist man Gott sei Dank ein Stück weggekommen. Gerade die kampfstarken Beschäftigtengruppen wie Müllwerker, Busfahrer und andere müssen erkennen, daß sie von der Durchsetzung der Forderungen etwas haben.
Insbesondere in den letzten Wochen wurden auf Bezirks- und Landesbezirksebene – u.a. in Baden-Württemberg und Hessen – recht hohe Forderungen von um die zehn Prozent beschlossen. Worauf führen Sie die offensichtlich veränderte Stimmung zurück?
Zum einen merken die Beschäftigten, daß der Aufschwung nicht bei ihnen ankommt. Zum anderen machen die Preissteigerungen bei Energie, Mieten und Lebensmitteln es immer schwerer, über die Runden zu kommen. Zudem meinen die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst zu Recht, daß sie in den vergangenen Jahren genug verzichtet haben.
Welche Rolle haben die im Bundestag beschlossene Diätenerhöhung um 9,4 Prozent und die Arbeitsniederlegungen bei der Bahn gespielt?
Beides hat dazu beigetragen, die Stimmung zu verändern. »So müßte man es machen«, meinten viele über die Streiks der Lokführer. Und die Diätenerhöhung hat die ganze Scheinheiligkeit von Politik und Wirtschaft gezeigt, die sich selbst gut bedienen, aber von den Menschen immer weiteren Verzicht fordern.
Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) stellt Gegenforderungen, beispielsweise die Abkopplung der kommunalen Krankenhäuser von der Tarifentwicklung. Kann das für ver.di Verhandlungsmasse sein?
Eine besondere Behandlung der Krankenhausbeschäftigten wäre tödlich. Die politisch gewollte Unterfinanzierung der Kliniken kann nicht von den Beschäftigten über ihre Löhne ausgeglichen werden. Diese Forderung der VKA wird uns die Mobilisierung in den Krankenhäusern sicher erleichtern. Schließlich müssen die Beschäftigten dort ohnehin ständig mehr leisten – und jetzt sollen sie auch noch mit der Abkopplung von der allgemeinen Lohnentwicklung bestraft werden.
Außerdem steht die Verlängerung der Arbeitszeiten auf 40 Wochenstunden auf dem Wunschzettel der VKA.
Das kann für uns nicht zur Debatte stehen. Wir haben hier in Baden-Württemberg schließlich nicht neun Wochen lang gegen Arbeitszeitverlängerung gestreikt, um in dieser Frage bei der nächsten Gehaltsrunde nachzugeben. Das wäre eine Katastrophe. Hochproblematisch wäre es auch, wenn die Arbeitszeiten in so streikrelevanten Bereichen wie dem Nahverkehr, in dem bei uns weiterhin die 38,5-Stunden-Woche gilt, verlängert würden.
Bei solch gegensätzlichen Positionen scheint ein Arbeitskampf sehr wahrscheinlich.
Ja, bei uns laufen die Streikvorbereitungen deshalb schon auf Hochtouren. Die Stimmung ist in allen Bereichen außerordentlich gut.
Quelle: jungewelt.de
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