Traum von der Gleichheit
Freiheitskämpfer, politischer Gefangener, erster schwarzer Präsident Südafrikas: Nelson Mandela feiert heute seinen neunzigsten Geburtstag. Eine Begegnung mit Denis Goldberg
Von Gerd Schumann
Nelson Rolihlahla Mandela feiert heute seinen Geburtstag in Mvezo/Transkei, dort, wo er vor 90 Jahren geboren wurde. Indem der »Unruhestifter« – so die Bedeutung seines zweiten Vornamens – an seine Wurzeln zurückkehrt, entzieht er sich zumindest an diesem Tag den Anstrengungen offiziell anberaumter Feierlichkeiten in aller Welt, aber doch insbesondere in Südafrika. Sein Kampfgefährte Denis Goldberg kommentiert: Mandela sollte längst mehr Ruhe gegönnt werden, obwohl... - »es ist schon komisch. Nun ist er 90 Jahre alt und doch noch ein junger Mann.« Goldberg zählt nun auch schon 75 Jahre, von denen er 22 Jahre hinter Gittern des Apartheid-Regimes verbrachte, und gönnt sich keine Ruhe. Er wird im Rahmen eines Mandela-Festivals am Wochenende in Berlin auftreten, und wirkte am Donnerstag, trotz anstrengender Anreise, frisch. Die Alten sind noch mal am Start.
Goldberg hörte Mandela erstmals 1962: Da wertete der Aktivist des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und dessen bewaffneter Organisation Umkhonto We Sizwe (Speer der Nation/MK) eine Reise durch etwa ein Dutzend Länder aus, während der er um Unterstützung für den Freiheitskampf geworben hatte. Die Aktivisten, darunter Kommunisten wie Goldberg, diskutierten die Ziele ihres Kampfes, auch über Kapitalismus und Sozialismus. Goldberg fragte danach, und Mandela antwortete, daß es zunächst darum gehe, »Gleichheit für alle« durchzusetzen, also das Apartheid-System zu beseitigen. Theoretische Differenzen, so Mandela damals, zwischen denen, die gegen Unterdrückung kämpfen, sei ein Luxus, »den wir uns in diesem Stadium nicht erlauben können«.
»One man, one vote« lautete die Losung. Der Kampf dafür draußen, außerhalb von Gefängnsimauern, endete für Mandela und Goldberg und neun weitere ANC-Mitglieder ein Jahr später in Polizeigewahrsam. Die gesamte Führung des illegalen MK war in ihrer Zentrale, einer Farm in Rivonia nahe Johannesburg, aufgeflogen. In einem achtmonatigen Prozeß drohte allen und besonders Mandela, dem »Angeklagten Nummer eins«, die Todesstrafe. Mandela klagte in seiner vierstündigen, auch international Aufsehen erregenden Rede das rassistische Regime an.
»Ich bin stets dem Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft gefolgt, in der alle Menschen friedlich und mit gleichen Möglichkeiten zusammenleben. Für diese Ideale lebe und kämpfe ich. Aber wenn es sein muß, bin ich bereit, dafür zu sterben.« Am 12. Juni 1964 verfügten die Richter des Rivonia-Prozesses lebenslange Haftstrafen. Viele im Gerichtssaal hatten den Urteilsspruch akustisch nicht verstehen können. »Denn Goldbergs Frau rief ihm zu: ›Denis, was ist es?‹ ›Leben‹, rief er mit einem Grinsen zurück. ›Leben! Zu leben!‹« (aus: Nelson Mandela: »Der lange Weg zur Freiheit«)
Als Mandela, der bekannteste politische Gefangene der Welt, am 11. Februar 1990 nach 27 Jahren Haft, von denen er zwei Drittel auf der Gefängnisinsel Robben Island unter härtesten Bedingungen einsaß, entlassen wird, begrüßen ihn Tausende und Abertausende Unterstützer. Das Apartheid-Regime steht vor dem Zusammenbruch, es herrschen »bürgerkriegsähnliche Zustände«, die Situation droht zu eskalieren, doch mit Mandela an der Spitze gelingt eine »bloodless revolution«, wie Denis Goldberg die Übergangsphase nennt. Mandela spricht von »Versöhnung« und prägt den Begriff »Regenbogennation«. Diese will er schaffen. Am 9. Mai 1994 wird er zum ersten schwarzen Präsidenten der Republik Südafrika gewählt. Er regiert bis 1999.
Die politische Apartheid gilt heute als besiegt, und Denis Goldberg berichtet von den neuen Chancen auf Bildung für Millionen schwarzer Kids, von Sprachenvielfalt, von Gleichheit vor dem Gesetz, von den großen Verdiensten der Freiheitsbewegung. Doch liegt die Arbeitslosenquote in Südafrika derzeit – geschätzt – zwischen 40 und 50 Prozent, über fünf Millionen Einwohner sind HIV-positiv, 30 Prozent in den Extownships ohne Strom, 38 Prozent ohne Wasseranschluß, betroffen davon: fast nur Schwarze. Dann die jüngsten Übergriffe auf Illegale aus den Nachbarländern – was ist aus den Träumen geworden?, so die jW-Frage an Denis Goldberg am Vorabend des Mandela-Geburtstages.
»Kapitalismus und Imperialismus herrschen weiterhin«, antwortet der Kommunist, und vermittelt trotz der offensichtlichen Misere den Eindruck ungebrochener Zuversicht. »Der Streit um den besten Weg geht weiter. Jeden Tag innerhalb des Bündnisses aus ANC, der Kommunistischen Partei Südafrikas und Gewerkschaftsbund COSATU.« Natürlich bleibe das Ziel des Kapitals, Profit zu machen. »Es geht nicht um die Hautfarbe, sondern es geht um die Geldfarbe«, benennt Goldberg das überkommene Problem. Mandela, der nie zum Kommunisten wurde, hat einst seine Erfahrung mit dem Problem und dessen Lösung folgendermaßen formuliert: »Der dialektische Materialismus war nicht nur wie ein Scheinwerfer, der die dunkle Nacht rassischer Unterdrückung erhellte, sondern auch das Mittel, das eingesetzt werden konnte, um eben jene Unterdrückung zu beenden.«
Am 1. Juli 2008 strich die Regierung der USA Nelson Rolihlahla Mandela von der »Terrorliste«, auf der sich dieser seit einigen Jahrzehnten befunden hatte. Eine sonderbare Geste, die nichts an der unheilvollen Einflußnahme der imperialistischen Staaten des Nordens auf den subsaharischen Kontinent – und nicht nur auf den – ändert, sondern lediglich deren anhaltende Arroganz unterstreicht.
Quelle: jungeWelt
Chance for a Lifetime by Kayak
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About the band: Kayak is a Dutch progressive rock band formed in 1972, and
still going strong after a time-out from 1982 until 1999. Their singles and
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vor 2 Stunden
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