Seit Ihrem ersten Album "Bohème" klebt das süß-verruchte Lolita-Image an Ihnen. Nervt Sie das?
Ich bin darüber hinweg. Anfangs habe ich eine defensive Haltung angenommen aber jetzt rechtfertige ich mich nicht mehr dafür, wie ich bin. Ich mache einfach mein Ding. Ich werde mich nicht verkleiden. Ich werde mich nicht verändern, auch optisch nicht. Die Leute müssen akzeptieren wie ich bin. Wie hat Jane Birkin damals schon gesagt: "Lolita go home!" Aber irgendwie wird die doch immer zu mir gehören. Trotzdem: Das ist längst nicht alles von mir.
Haben Sie sich deswegen für "Das optimale Leben" zwei Jahre Zeit gelassen - um erstmal Ihren Erfolg und die Reaktionen zu verarbeiten?
Ja, "Bohème" und "Unausgesprochen" sind sehr schnell hintereinander veröffentlicht worden. Danach musste ich mich erst einmal etwas herunterfahren. Das war gar nicht so einfach. Ich bin in den letzten Jahren sehr ungeduldig und schnell gewesen, was mein Leben angeht. Kaum stand der Koffer in der Ecke, hab ich schon mit den Füßen gescharrt. Das typische Tour-Syndrom. Um runterzukommen habe ich versucht, mich auf ganz banale Dinge zu konzentrieren. meinen Körper und schlafen ohne zu träumen. Ich habe mir viele Gedanken gemacht in dieser Zeit. Und auf meinem Album habe ich genau diese verarbeitet. Die Frage nach dem Glück zum Beispiel. Wenn man wie ich so erfolgreich geworden ist und sich einen Traum erfüllt hat, dann fragt man sich schon: Kann dich eigentlich noch irgendetwas im Leben jemals noch einmal so glücklich machen? Was kommt danach? Muss man sich übertreffen, um das gleiche Gefühl der Zufriedenheit zu bekommen? Aus diesen Fragen ist "Das optimale Leben" entstanden.
Und haben Sie das Glück wieder gefunden?
Ja, und zwar genau jetzt. Ich mag diesen Zustand, kurz bevor man etwas erreicht hat, eigentlich am liebsten. Dann ist da diese Vorfreude und alles ist noch offen. Auch gewisse Selbstzweifel sind da, aus denen man als Musiker schöpft. Diese ständige Suche nach der Bestätigung, die einen kickt. Man ist noch nicht an einem Punkt, an dem man sich schon was Neues suchen muss, sondern man ist kurz davor.
Dann entspricht Ihr Album "Das optimale Leben" ja genau ihrem aktuellen Lebensgefühl.
Es ist ein glückliches Leben. Meine Idealvorstellung vom optimalen Leben lässt sich leider nicht wirklich umsetzen. Toll wäre es, einen Koffer zu haben, in den alle meine Sachen reinpassen und den ich auch noch selbst tragen kann. Einfach frei zu sein und die Möglichkeit zu haben, von hier nach da zu ziehen. Aber das ist natürlich - gerade wenn man sich anderen Menschen verbunden fühlt - nur eine Traumvorstellung.
Fühlen Sie sich etwa nicht wohl in Ihrer Wahlheimat Hamburg?
Oh doch. Und wie! Ich wohne direkt an der Elbe, mit Elbblick. Das ist für mich jeden Tag wieder ein Traum. Gerade weil ich so selten zu Hause bin. Hamburg ist Heimat. Für mich als bekannte Person ist es sehr angenehm hier zu wohnen. Hier sind alle sehr dezent. Ich liebe es, an der Alster ein Buch zu lesen, den Kiez, die Schanze... Hamburg ist eine wunderschöne Stadt. Mondän, aber schön.
In der Pressemitteilung heißt es, Sie seien eine kleine Revolution. Inwiefern revolutionieren Sie denn die Musik?
Ach, mit dem Wort Revolution kann ich eigentlich nicht viel anfangen. Ich bin auch keine Vorreiterin. Ich finde es gut, wenn man bei jedem Album wieder von Null anfängt. Vorstellungen, Druck und Vergleich sind der Tod. Das Schöne ist, dass ich in eine Nische reingerutscht bin, die ich mir selbst geschaffen hab. Das empfinde ich als großen Vorteil. Es ist sehr schwierig, so etwas zu kopieren. Die Ästhetik der Sprache, die Stimme und auch der gewisse Sound, den wir über die Jahre weiterentwickelt haben. Ich bewege mich in einem Genre zwischen Walzer-Blues und Bossa Nova. Keine Revolution. Einfach Annett Louisan.
Was ist denn anders oder neu an diesem Album?
Schwierige Frage. Es ist auf jeden Fall mein eckigstes Album. Sehr persönlich. Und es war harte Arbeit. Alles, was lässig, einfach und klein scheint, ist harte Arbeit. Easy listening, hard working. Annett Louisan war davor immer sehr spartanisch, ohne viel Pipapo. Da passiert jetzt natürlich schon viel mehr. Die Streicherarrangements, die Chöre... Die Musik tritt etwas weiter in den Vordergrund, ist präsenter.
Welchen Song mögen Sie selbst denn am liebsten?
"Was haben wir gesucht". Ich finde das ist ein ganz großer Wurf (lacht). Dieser Song berührt mich einfach. Der Text, die Melodie, die weinende Geige. Wenn ich das Stück anderen Leuten vorsinge, dann passiert da etwas mit ihnen. Das merke ich. Die bleiben dran. Der kommt sofort ganz nah an sie ran.
Wahrscheinlich weil Sie Ihnen aus der Seele sprechen
Ich hoffe es. Mein Texter Frank Ramond und ich sind immer auf der Jagd nach diesem "Kennst du das auch?". Dabei verarbeite ich auch meine eigenen Gefühle. Aber es gibt auch Kunstgriffe, die wir beim Texten anwenden. Frank und ich gehen da zum Teil sehr analytisch vor. Wir lesen schon mal eine Studie zum Thema Eifersucht. Ich glaube, dass "Das optimale Leben" vor drei Jahren noch nicht meine Welt gewesen wäre. Jetzt, so um die 30, ist genau die Zeit, in der ich mir Gedanken mache über Lebenswünsche, geplatzte Lebensträume.
Freuen Sie sich denn auf die 30 oder packt Sie eher die Panik?
30 ist ein geiles Alter für eine Frau. Ich genieße die Zeit jetzt viel mehr als mit 20, weil man den Hebel in der Hand hat. Man wird ernst genommen, man nimmt sich selbst immer mehr ernst. Finanzielle Unabhängigkeit, die Persönlichkeit, die sich immer weiter entwickelt, dass man gewisse Dinge auch einfach mal akzeptiert. Es gibt aber auch Momente in denen ich mir denke, so eine gewisse Unbekümmertheit wäre auch nicht schlecht. Weniger Verantwortung. Einfach mal die Festplatte löschen. Gerade bei meinem Job möchte man gerne mal nur für einen Moment unter die Bettdecke kriechen.
Vor zwei Jahren haben Sie geheiratet. Wie halten Sie sich so erfolgreich aus den Klatschspalten raus?
Boulevard ist einfach nicht mein Ding. Ich denke, dass das Annett Louisan entzaubern würde. Und mich auch. Ich brauche als Person meinen Freiraum. Ich muss die Tür hin und wieder mal zumachen können. Ich werde ja sowieso schon so viel bewertet; meine Musik, mein Aussehen, mein Auftreten. Aber mein Privatleben nicht! Das würde dann doch zu sehr an die Substanz gehen, weil ich sehr verletzbar bin.
Aus dem Grund haben Sie wahrscheinlich auch den einschlägigen Männermagazinen wie "Playboy" und Co. Abfuhren erteilt...
Ja, es kamen Angebote. Aber ich habe alles abgelehnt. Gerade bei "Bohème" hatte ich eher das Gefühl, ich müsste mir einen Rollkragenpullover anziehen. Dieses ganze Lolita-Ding ist so skurril für mich gewesen. Ich kokettiere gerne. Aber wenn man das so um die Ohren kriegt, dann bekommt das einen komischen Beigeschmack.
Fühlten Sie sich denn geschmeichelt?
Das war so eine Mischung. Wenn das Angebot nicht gekommen wäre, wäre es wohl auch komisch gewesen. Trotzdem habe ich erstmal den dicken Pulli angezogen, um die Leute auf den Inhalt zu lenken. ich glaube, dass mir das ganz gut gelungen ist.
In "Kleine Zwischenfälle" geht es um die Weichen, die das Leben einem stellt. Machen Sie sich viele Gedanken darüber, wie Ihr Leben hätte anders verlaufen können?
Ja, ich verbringe sehr viel Zeit damit. Das hat mich schon immer interessiert. Letztendlich ist es ja so, dass man nichts überprüfen kann. Du lebst nur einmal. Selbst etwas Positives kann sich auf etwas anderes negativ auswirken. Das ist ja aber auch das Schöne am Leben. Eigentlich ist es eine Erleichterung, nicht zu wissen, was man im Leben richtig oder falsch gemacht hat. Ich bin zum Beispiel ohne Vater aufgewachsen. Das ist etwas, was mein Leben sehr beeinflusst hat. Ich kenne nur meine Mutter. Und es hätte natürlich auch alles ganz anders laufen können. Es ist ein Zufall. Das Leben an sich nicht. Das sollte man nicht in Frage stellen.
Kann es sein, dass die Männer in Ihren Texten oft ihr Fett weg bekommen, weil Sie ohne Vater groß geworden sind?
De facto ist es so, dass es einen Unterschied macht, eine männliche Bezugsperson zu haben, die dich aufzieht. Das kann man nicht wegdiskutieren. Aber es ist nichts Aufgesetztes in meinen Texten. Ich bin ja nun einmal so geworden, wie ich bin. Ich kenne viele Menschen, die ohne Vater aufgewachsen sind - auch Männer. Die sind dadurch irgendwie anders. Femininer. Und haben eine andere Gedankenwelt. Das macht viel aus. Aber man hat ja die Möglichkeit, das alles als erwachsener Mensch zu verarbeiten. Sich selbst zu checken. Auch wenn das manchmal etwas desillusionierend ist und man einiges gar nicht so genau von sich wissen will.
Mit was für einer Musik sind Sie aufgewachsen?
Ich bin mit Popmusik aufgewachsen. Damals im Osten hatte ich nicht die Möglichkeiten, in einen Plattenladen zu gehen und alles zu bekommen. Also hat mich in meiner Kindheit das Radio sehr geprägt. Ich bin mit Madonna, Prince und Stevie Wonder aufgewachsen. Und auch mit deutschsprachigen Künstlern wie Herbert Grönemeyer.
Hat Sie die DDR in Ihrer Musik beeinflusst?
Ja, da bin ich mir ganz sicher! Meine Kindheit war sehr speziell. Die ist anders verlaufen, als wenn ich in Hamburg geboren wäre. Das ist wahrscheinlich dieser Freiheitsentzug, der mich geprägt hat. Durch die wenigen Möglichkeiten, die einem die DDR bot, hatte ich überhaupt die Chance zum Fantasieren. Ich habe gelernt, dass ich auch glücklich sein kann, wenn nichts oder wenn nur sehr wenig da ist. Ich konnte mir meine eigene Welt erschaffen. Ich war einfach ein typisches Mädchen, das auf dem Land groß geworden ist, schon immer von der Großstadt geträumt hat und sich Brigitte-Bardot- und Romy-Schneider-Filme gesehen hat. Die Träumereien, der Freiheitsdrang Das alles hat mich stark beeinflusst. Hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Und heute habe ich ein optimales Leben.
stern.de
Das Optimale Leben
Blue Angel
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Under Anything Goes I will be sharing anything I think worthwhile that does
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...
vor 17 Stunden
1 Kommentar:
Danke für Annett!
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