Retro ist nicht zuletzt der Versuch, chaotische Popgeschichtsfülle zu sortieren und – wie jeder Versuch – an seinem Ergebnis zu messen. Wichtig wird dergleichen in Momenten, wo Pop sich immer weniger in der Lage zeigt –, aus sich selbst heraus und gleichsam selbstverständlich –, Differenz in eine Welt zu bringen, in der er selbst längst von der dunklen Seite der Macht kassiert und eingebaut worden ist. Und das nahezu restlos und rückstandsfrei. Erst eine solche Differenz (und nicht das blindwütige Vertrauen auf selbsterklärende Gegenwärtigkeit, das retroesk am „Here and now“-Argument frühpopgeschichtlicher Jugendkulturmodelle klebt) wäre progressiv im Sinne einer Fluchtlinie aus der abgeschmierten Gegenwart. An ihm wäre also nicht die Rückwärtsorientierung zu kritisieren, worin sich fast alle Kritik an „Retro“ gefällt, die sich in der Regel aus der bürgerlichen Retro-Idee einer progressiven Geschichte speist, als vielmehr die Frage zu prozessieren, was Retro wo genau findet und inwieweit sich das unter welchen differenzpolitischen Fragestellungen wofür eigentlich verwenden lässt. In diesem Verbauen historischer Differenzpartikel in gegenwärtige Entwürfe kann guter Retropop an Formen und Bewusstseinsformen weiterformulieren, die lange vor der Geburt seiner Protagonisten und Protagonistinnen stattgefunden haben, aber deswegen noch längst nicht hinreichend durchgearbeitet wurden und schon gar nicht eingelöst. Oder zumindest die Erinnerung daran am Glimmen halten, dass Pop nicht immer schon eine Machttechnik pophistorischer Elitebildungen in ihrer Ulf-Poschardt-förmigen Kumpanei mit ganz anderen, vorerst (und diesseits schnell zusammengehauener Behauptungen aus den McThink-Tanks des deutschen Feuilletons) noch völlig unpopbaren Eliten war.
Verbraucherinfo-Junkies werden sich nun fragen: Was hat das alles bitte schön mit der Kulturware „Moulinettes“ zu tun, um deren Empfehlung respektive Nichtempfehlung es hier ja schließlich gehen soll? – Circa alles! Die Moulinettes, die es überraschenderweise noch immer gibt, leisten sich ein Auto-Retro-Album, eine Zehn-Jahre-Compilation als Warteschleife auf ihre vierte Platte. Ihr hier nochmals zu besichtigender Entwurf enthält (großzügig aufgerundet) alle Schwächen und Stärken der Kulturtechnik „Retro“. Und er bündelt sie zu so etwas wie dessen Phänomenologie in einer kompakten und weitgehend eleganten Form, wie sie so oder so ähnlich im traditionell antipopistischen Deutschland bisher kaum vorgekommen ist. Natürlich in ständiger Gefährdung, zu selbstgenügsamer Jungerwachsenen-Beschallung und Digitale-Boheme-Feierabendstimmung zu verkommen. Die akribisch aufgefädelten, meist strikt privatisierenden „Herr Rossi“-Glücks- und Unglücksgenussformen (natürlich 100 Prozent Poschardt-kompatibel) kontrastiert eine als Sound realisierte Distanz, die sich aus der üblichen Retro-Fadheit löst. Strukturell nicht unähnlich (wenngleich entsprechend weniger fantastisch) jener Selbst-Distanz beim Königskinderpaar des (Retro-) Pop, den Carpenters. Deren eigenartig irrealer Sound ließ die Todtraurigkeit über die eigene faktische Unwahrheit immer kaum hörbar mitschwingen. Jenes Leiden an der großen Wahrheit von Pop, nämlich seiner Unwahrheit, die die Carpenters in die Arme von Tabletten- und Magersucht trieb, während die konkurrierenden Abba ihre Realitätskompetenz mit Scheidungen und Fischkonservenfabriken ratifizierten. In ungefähr dieser Hinsicht könnten die Moulinettes noch einmal wichtig gewesen sein. Weniger in der Behauptung, es sei bereits Verweigerung, sich lieber einen Cary-Grant-Film anzusehen, als sich den „Rs in BRD“ (Erfolg, Ehrgeiz, Eroberung) zu widmen. Wobei: nichts gegen Cary Grant und schon gar nichts gegen „Cary Grant“, den zweitbesten Song dieser CD.
Verbraucherinfo-Junkies werden sich nun fragen: Was hat das alles bitte schön mit der Kulturware „Moulinettes“ zu tun, um deren Empfehlung respektive Nichtempfehlung es hier ja schließlich gehen soll? – Circa alles! Die Moulinettes, die es überraschenderweise noch immer gibt, leisten sich ein Auto-Retro-Album, eine Zehn-Jahre-Compilation als Warteschleife auf ihre vierte Platte. Ihr hier nochmals zu besichtigender Entwurf enthält (großzügig aufgerundet) alle Schwächen und Stärken der Kulturtechnik „Retro“. Und er bündelt sie zu so etwas wie dessen Phänomenologie in einer kompakten und weitgehend eleganten Form, wie sie so oder so ähnlich im traditionell antipopistischen Deutschland bisher kaum vorgekommen ist. Natürlich in ständiger Gefährdung, zu selbstgenügsamer Jungerwachsenen-Beschallung und Digitale-Boheme-Feierabendstimmung zu verkommen. Die akribisch aufgefädelten, meist strikt privatisierenden „Herr Rossi“-Glücks- und Unglücksgenussformen (natürlich 100 Prozent Poschardt-kompatibel) kontrastiert eine als Sound realisierte Distanz, die sich aus der üblichen Retro-Fadheit löst. Strukturell nicht unähnlich (wenngleich entsprechend weniger fantastisch) jener Selbst-Distanz beim Königskinderpaar des (Retro-) Pop, den Carpenters. Deren eigenartig irrealer Sound ließ die Todtraurigkeit über die eigene faktische Unwahrheit immer kaum hörbar mitschwingen. Jenes Leiden an der großen Wahrheit von Pop, nämlich seiner Unwahrheit, die die Carpenters in die Arme von Tabletten- und Magersucht trieb, während die konkurrierenden Abba ihre Realitätskompetenz mit Scheidungen und Fischkonservenfabriken ratifizierten. In ungefähr dieser Hinsicht könnten die Moulinettes noch einmal wichtig gewesen sein. Weniger in der Behauptung, es sei bereits Verweigerung, sich lieber einen Cary-Grant-Film anzusehen, als sich den „Rs in BRD“ (Erfolg, Ehrgeiz, Eroberung) zu widmen. Wobei: nichts gegen Cary Grant und schon gar nichts gegen „Cary Grant“, den zweitbesten Song dieser CD.
Die Moulinettes sind Kult - hier ein annähernd unlesbarer, aber schöner Artikel von Frank Apunkt Schneider erschienen irgendwann im Jahr 2007 in der Intro.
Text gefunden bei intro.de
Für eine Handvoll Moulinettes - 10 Jahre verstrickt
Title
01 Meine Liebe Ist Wie Ein Asylantrag
02 Meine Hormone Und Ich
03 Zaubervogel Barbie
04 Herr Rossi Sucht Das Glück
05 Drei Mädchen
06 Winter In Kanada
07 Du Fliegst Hoch, Reini Furrer
08 Volkssternwarte
09 Deinen Namen Merk Ich Mir
10 Flipper-Queen, Du Kannst's Am Besten
11 Deep Down
12 Alfio Brambilla
13 Immer Nie Am Meer
14 Der Letzte Spieltag
15 Liebe Auf Dem Land
16 Mit Den Händen Eines Toten
17 Popcornmaschine
18 Punch And Judy
19 Out Of Your Target Group
20 Cary Grant
21 Dreckiger Als Auf Dem Mond
22 Gestern Hab' Ich Noch Nachgedacht
Genre: Alternative
Bitrate: 192 kBit/s
Year: 2007
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