Und noch ein richtiges Hammeralbum. Unbeschreibbar eigentlich. Streckenweise erinnert es mich an die alten Talking Heads, aber dann irgendwie plötzlich wieder ganz anders. Ach hört selber rein und bildet Euer Urteil.
James Murphy ist die Karikatur eines Popstars – ein großer, leicht untersetzter Junge mit Hundeblick, dem der liebe Gott in einem Moment der Unachtsamkeit eine Überdosis Bartstoppeln ins Gesicht gestreut hat. Er wirkt, als hätte er drei Tage nicht geschlafen. Mit 40 weiß er immer noch nicht, welche Frisur ihm steht. Und welchen Weg er geht, testet er tagtäglich aus.
Wie passend, dass Murphy die Musik für Noah Baumbachs Filmkomödie Greenberg machen durfte. Deren Protagonist Roger Greenberg (gespielt von Ben Stiller), alleinstehend, ohne Job und ebenfalls 40, ist ein seltsamer Kauz, dessen Lebensplan kaum übers Nichtstun am nächsten Vormittag hinausreicht. In einem Punkt sind sich dieser Film-Loser und der Urheber des letzten intelligenten Tanztrends auf jeden Fall sehr ähnlich: Beide weigern sich, im vorgegebenen Rahmen zu funktionieren.
Nun besiegelt James Murphy die Verweigerung in einem finalen Akt: Sein aktuelles, drittes Album, das er unter dem Projektnamen LCD Soundsystem und dem Titel This Is Happening herausbringt, wird auch sein letztes sein. So hat er sich das geschworen – 40 und Schluss. »Album, Tournee, Video. Und alles wieder von vorne. Ich will nicht mehr Teil dieser Maschine sein«, sagt der Amerikaner beim Gespräch in Berlin. Der Satz klingt nicht böse, er versickert sofort in James Murphys freundlichem Grinsen. Hinter seiner Absage an das Hamsterrad im Pop und Rock steht aber zugleich ein größeres Konzept. Es handelt davon, wie man im traditionell um Jugend buhlenden Unterhaltungsbetrieb erwachsen werden kann, ohne sich den Erwartungen an erwachsene Musik zu beugen. Im Wertesystem des Postpunk steht der saturierte Altrocker an letzter Stelle. James Murphy trifft Vorsorge, dass es mit ihm nie so weit kommt.
Denn der Erfolg ist ihm bereits gefährlich auf der Spur. Mit jeder Platte seines LCD Soundsystems kam der Chef des New Yorker Dance-Labels DFA seiner Apotheose zur Popkultur-Ikone bislang ein Stück näher. Murphy ist der Mann, der der Rockmusik ihr Ego gestohlen und seitdem nicht wieder hergegeben hat. Damals, sagt er, sei das ein notwendiger Schritt gewesen. Die Musik, für die er berühmt ist – und die jetzt noch einmal in die Plattenläden kommt –, konzentriert sich auf die Elemente Bass, Drums und Percussion: Murphys Versicherung gegen den Ego-Terror nach vorne drängender Gitarren. Der Soundtrack zum Film Greenberg hingegen öffnet ein Fenster in die andere Welt, eine Welt, die der Sänger, Songwriter, DJ, Produzent und Remixer James Murphy in der Post-LCD-Zeit durchmessen wird. Als Macher im Hintergrund.
Dass James Murphy überhaupt in den Rang eines Stars aufsteigen konnte, gehört zu den großen Überraschungen des vergangenen Popjahrzehnts: Er selbst sieht sich als Mann von durchaus durchschnittlicher Begabung, und auch sonst deutete lange nichts auf einen bevorstehenden Durchbruch hin. Murphy war Drummer einer erfolglosen Punkband, gehörte New-Wave- und Goth-Combos an, deren Namen schon während der kurzen Zeitspanne, in der sie existierten, kaum jemand kannte, er jobbte als Rausschmeißer, Barkeeper, Mixer, Roadie und Promoter. Als Musiker habe sich einfach kein Geld verdienen lassen, sagt er. Und doch waren es keine verlorenen Jahre. Während er sich mit Nebenjobs über Wasser hielt, sammelte Murphy langsam und kontinuierlich Erfahrungen. Ganze zehn Jahre nahm er sich Zeit, um am Ende der zu werden, der er sein wollte.
Malcolm Gladwell, der Autor des US-Bestsellers Outliers, in dem nachzulesen ist, warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht, würde das »die besondere Möglichkeit zum Üben« nennen. Murphy verschwendete seine Jugend mit dem Rundumstudium des Rockclubs unter spezieller Berücksichtigung des Phänomens »Coolness«. Allerdings handelte es sich um eine Coolness, wie sie nur Leute entwickeln, die über genügend Distanz zu ihrer Rolle verfügen. 2005 schließlich, da war er bereits 35, lag ihm endlich die Rock- und Discowelt zu Füßen: James Murphy Superstar! Sogar Britney Spears wollte von ihm produziert werden. Wahrscheinlich wusste sie nicht mal, dass dieser Murphy schon ein alter Hase war, der es ziemlich uncool findet, wenn jemand versucht cool zu sein. »Sie ist eben ein Kinderstar«, sagt Murphy. »Und sie hat ihr ganzes Leben nichts anderes gemacht, als Erwachsenen zu gefallen.«
Disco-Punk hieß seine bahnbrechende Erfindung. Disco-Punk funktionierte auf eine paradoxe Weise: als Tanzmusik für Leute, die Tanzmusik eigentlich nicht ausstehen können. Murphys Sieben-Minuten-Groove-Attacken wuppten die pullovrigste Indie-Party mit dem Sound von subkutanen Bässen und aufgeregten Kuhglocken. Wer James Murphy buchte, buchte immer auch eine Party mit Subtexten. Auf This Is Happening wirken sie wie tanzbare Botschaften an erwachsene Nischenbewohner: die David-Bowie-Gedächtnisgemeinde, die sich im Heldentheater der Siebziger spiegelt; die Elektronik-Connaisseurs, die, das neueste Smartphone in der Hand, gerade Kraftwerk auf dem LCD-Display wiederentdecken. Oder das Indie-Rock-Publikum, das im großen »Ahaaa-ahaaa« zu Beginn des Albums die Wiedergeburt des Folksongs aus dem Punk-Geiste Jonathan Richmans bewundern kann, bevor der Bass wie eine chemische Bombe in die Musik fällt und Murphy zur Reinigung unter dem Stroboskop ruft: »Go and dance yourself clean / go and dance yourself clean!«
Tanz die Midlife-Crisis! Dass Discomusik sich auch mit verzagten Betrachtungen und melancholischen Selbstbespiegelungen verträgt, wie sie in den Stücken von James Murphy zu finden sind, gehört zu den Ergebnissen der jüngeren Feldforschung im Pop. Murphys Disco gleicht einem Tanz der Vampire, in dem Publikum und Künstler im Rausch der Referenzen durch die Goldenen Jahre der Rockmusik düsen. Beim Mitternachtskonzert kürzlich in der Berliner Münze war das noch einmal in aller Deutlichkeit zu erleben: Tänzer unterschiedlichsten Alters drängten sich vor der Bühne, um beides auf einmal zu kriegen – die Glücksdroge Disco und die Pechmarie Punk. Die ekstatischen Klangschleifen, die Murphy ins Publikum schickte, ließen aber auch bereits ein neues Rollenverständnis erkennen: Murphy als Beatmeister. Die Zukunft, sagt er, gehöre dem Basteln, dem Improvisieren, dem Ausgraben vergessener Stile. Die neue Freiheit schließt weitere Erkundungen im Disco-Punk zwar nicht aus. Eine professionelle Band allerdings braucht es dafür nicht mehr.
Der Schlussstrich unter das Kapitel LCD Soundsystem ist nicht nur eine Absage an die kapitalistische Unterhaltungslogik, er kommt auch zur rechten Zeit. Murphy will kein zweiter Iggy Pop werden, und Hits mag er im Grunde seines Herzens auch nicht. All das hätte man zwar dem allerersten LCD-Soundsystem-Track Losing My Edge aus dem Jahr 2002 auch schon entnehmen können, einem ironischen Kommentar zur Selbstherrlichkeit von DJs und Musik-Nerds, denen es gar nicht mehr um die Musik geht, sondern nur noch um das Dabeigewesensein. Es hätte alles endlos so weitergehen können wie bisher, aber es ist gut, dass dem nicht so ist. Murphy bleibt, was er immer war: die Karikatur eines Popstars, ein Mann, der uns zehn Jahre prächtig unterhalten hat und sich nun mit einem letzten Wumms aus der Arena verabschiedet. Vermissen werden wir ihn trotzdem.
Text gefunden bei Die Zeit
This Is Happening
Title
01 Dance Yrself Clean
02 Drunk Girls
03 One Touch
04 All I Want
05 Can Change
06 You Wanted A Hit
07 Pow Pow
08 Somebody's Calling Me
09 Home
Genre: Alternative
Bitrate: 164 kBit/s (VBR)
Year: 2010
3 Kommentare:
LCD Soundsystem live in Brüssel 5.5.2010 (Video):
http://www.abconcerts.be/nl/abtv/p/detail/lcd-soundsystem
Diese Woche ist das Album "this is happening" unter anderem auch unter den "Items of the week" auf http://www.sounds-like-me.com/news/items-of-the-week-2/ Checkt es mal aus, da sind oft coole Produkte dabei!
hier zwei funktionierende links
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