Eine Veranstaltung im Rahmen der lit.Cologne im Schauspielhaus Köln (Offenbachplatz), 8. März 2008
Habe diesen Mitschnitt von einem der seltenen Live-Auftritte PeterLichts gefunden.
Taumelnde Irrfahrt durch die Gegenwart
Das Pop-Mysterium PeterLicht wird gelüftet – und offenbart eine Leerstelle
Tim Kangro, 13. März 2008, 14:10 Uhr
Schon lange bevor ich an diesem Abend das Kölner Schauspielhaus betrete, bin ich von Spannung und kindlicher Vorfreude erfüllt. Heute Abend wird für mich ein Mysterium gelüftet, für mich und Hunderte anderer Besucher: Wer in aller Welt ist eigentlich PeterLicht?
Der Musiker und Autor, Träger des 3sat- und des Publikumspreises beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2007, hat es bisher auf beeindruckende Weise geschafft, seine Identität zu verschleiern. Es existieren keine Fotos von ihm, während der Übertragung der »Tage der deutschsprachigen Literatur« blieb sein Gesicht – wie zuvor bereits bei seinem bis dato einzigen Fernsehauftritt bei Harald Schmidt – vom Dunkel verhüllt. Möglicherweise, munkelt man, sei sein bürgerlicher Name Meinrad Jungblut.
Auch heute sind jegliche Foto- und Videoaufnahmen verboten. Die Ausstattung der Bühne macht umso neugieriger: Dort stehen neben verschiedenen Saiteninstrumenten (ich kann Gitarren, ein Cello und eine Mandoline identifizieren) ein Flügel sowie ein winziges Schlagzeug mit minimaler Ausstattung – ein Teil der Schlaginstrumente sind umgedrehte Pappkartons.
Als die ersten Mitglieder seiner Band die Bühne betreten, schwillt das Raunen im Publikum noch einmal an, um dann abrupt zu verstummen, als PeterLicht selbst hinzukommt. Das ist also der Künstler, den viele Popkonsumenten nur als »den mit dem Sonnendeck« kennen, der von manchen Literaturkritikern jedoch in eine Linie mit Kafka, Brecht, Beckett und Arno Schmidt gestellt wird: Ein blasser, magerer Thirtysomething, mit Kastenbrille, strubbeligem Pottschnitt und weißen Turnschuhen, der ohne Gruß beginnt zu lesen: Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends. Ein etwas längerer Text, den er über den Abend verteilt liest, einen Abend, der ansonsten eigentlich mehr ein Liederabend ist.
Das Ich des Textes spricht ausschweifend über seine persönliche und materielle Situation, die Beschaffenheit seines Sofas und das Wetter – und führt dabei sich selbst wie die Zuhörer immer wieder an der Nase herum. »Es ging mir gut. Ich war gesund und ich hatte Geld«, behauptet es gleich zu Beginn, um das gleich zu relativieren: »Ich hatte mittel Geld. Mittel Geld im Bereich von unten.« Auch diese Selbsteinschätzung wird nach unten korrigiert, die darauffolgende wiederum, und so fort, bis das Ich zu der Feststellung gelangt: »Ich schwamm auf dem Weltmeer meines Minusgeldes wie ein gestrandeter Erdteil«. All dies ist hochgradig komisch, gleichzeitig aber auch bestürzend hysterisch durch die Konturlosigkeit des Ichs und seiner Welt – konturlos wie die Kunstfigur PeterLicht selbst?
Jene Kunstfigur greift schließlich zur akustischen Gitarre und beginnt zu singen: »Hast du schon/ hast du schon gehört? Das ist das Ende/ das Ende vom Kapitalismus/ Jetzt isser endlich vorbei« – vollkommen unzeitgemäß, ziemlich platt sogar, und doch gleichzeitig seltsam anrührend und verführerisch im sanften Popgewand erscheint diese Botschaft; und wird gleich im nächsten Song demontiert: »Hallo Sozialkönig/ dies ist der Tag/ an dem es ans Sterben geht«. Der Musiker am Flügel schwelgt in melancholischen Harmonien, die Pappkartons am Drumset simulieren einen pluckernden Elektronikbeat, PeterLicht selbst schwankt und tanzt nervös, arhythmisch und seltsam gehemmt auf der Stelle, wie man es vom frühen Ian Curtis kennt. Auch die Texte und ihre Stimmungen schwanken, wirklich politisch ist hier nur das Private, das aber manchmal auch ins Dadaistische driftet: »Ich bin der Wolf im Fuzzipelz/ Wolf im Fuzzipelz« intoniert er minutenlang scheinbar am Rand des Wahnsinns, um kurz danach elegisch und bewegungslos vom »absoluten Glück« zu berichten, nämlich »am Rand zu stehen/ wo die Welt eine Scheibe ist/ Beine baumeln lassen in die Wärme des Weltalls und der letzte legt die Nadel in die Rille/ und wartet auf die Stille«.
Seine Geschichte meiner Einschätzung gehört, obschon in Klagenfurt gleich doppelt prämiert, literarisch nicht unbedingt zu den stärksten Arbeiten von PeterLicht. Sie eignet sich vielleicht besser zum Vortrag während eines rauch- und alkoholgeschwängerten Poetryslams; die Nuancen vieler anderer Texte, Gedichte, Notizen und Bilder aus seinem Buch Wir werden siegen! Buch vom Ende des Kapitalismus erschließen sich indes ohnehin eher beim stillen Lesen – dort wird die Realität in einer grotesken und melancholischen Weise entkleidet und demontiert, die tatsächlich an Kafka oder Beckett denken lässt.
Heute Abend gibt es also eher etwas mit der groben Kelle. Auch das aber hat seinen Reiz, besonders wenn es so überraschend geschieht wie in jener Performance auf dem Zenit der Show: Der Künstler kündigt an, er habe da »eine Kleinigkeit vorbereitet, eine Gruppenarbeit, vielleicht könnt ihr zu zweit auf ein Blatt gucken, sonst reichen die Kopien nicht.« Daraufhin verteilt er im Publikum einen Liedtext, der bei mir erst verspätet ankommt. Zurück auf der Bühne, greift er zu einer Sitar, beginnt scheinbar einen klassischen indischen Raga zu improvisieren und gibt dann einen Grundton vor – das Publikum möge mitsingen. »Wir sind jung und machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt« ist der Titel des Liedes, das er wie ein hinduistisches Chanting vorträgt. Nach einigem Zögern und befangenem Lachen stimmen Teile des Publikums in das Mantra ein, ich schließlich auch. Während der Chor der Zuschauer von ganz alleine immer lauter wird, frage ich mich, was ich hier eigentlich tue. Es ist ein durch und durch ambivalentes Erlebnis: Bin ich auf einer Karnevalssitzung, in einer Yogastunde oder in einer Selbsthilfegruppe für die Quarterlife-Crisis? Das Wir-Gefühl, das erzeugt wird, steht auf wackligen Füßen, ist ähnlich flüchtig wie die Identitäten, die PeterLicht annimmt. Er selbst löst keine dieser Fragen auf.
Wenn man über PeterLicht spricht, das ist an diesem Abend deutlich geworden, spricht man über ein Gesamtkunstwerk, das sich kaum kategorisieren und in seiner Gesamtheit auch nur schwer bewerten lässt. »Du hast du hast du hast keine Wahl/ Was du hast/ ist ein offenes Ende/ sonst/ sonst nichts« – Mit diesem winzigen Liedchen entlässt er uns alle, fast schon schnippisch, nach einer eineinhalbstündigen taumelnden Irrfahrt durch die Gegenwart.
Live in Cologne (03.08.2008)
Title
01 Die Schwerkraft ist überbewertet (nicht geschnitten)
Genre: Pop
Bitrate: 193 kBit/s (VBR)
Year: 2008
3 Kommentare:
Eine wahrlich treffende und schöne Beschreibung eines Abends. Auch ich durfte im Jahr 2007 das Gesamtkunstwerk aus der nähe bestaunen und war erstaunt ob der vielfältigkeit und scheinbaren sinnentleertheit des Ganzen
hey, vielen vielen dank!
nach zwei konzerten, die bereits ausverkauft waren, nachdem ich entdeckt hatte, dass sie stattfinden würden, hier nun endlich die möglichkeit peterlicht mal live zu hören .... echt, vielen dank!
vielen dank :-)
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