Hab hier, für die jüngeren oder den gerade erst mit deutscher Musik in Kontakt tretenden Kolleginnen und Kollegen mal ein paar schöne Texte über das Fast-Weltweit-Label rausgesucht, die man erst nach intensiverem Suchen findet - angefangen mit einem Text von Bernd Begemann im tagesspiegel.
Ich heiße Bernd und bin der Sohn von Tierarzt Begemann aus der Ahornstraße in Bad Salzuflen. Ich gehe ins Schulzentrum Lohfeld. Das ist immer derselbe Weg: die Wasserfuhr runter und dann links. Manchmal drehe ich ein bisschen durch und zwar immer dann, wenn ich die Gegend, durch die ich mich bewege, nicht mit der Gegend in mir zusammenbringen kann. Discjockeys erziehen mich.
Zu der Zeit war ein Discjockey kein personenkultiger Halbgott, der in wichtiger Gehirnchirurgenpose mit eingeknicktem Kopf sein sakrales Vinyl befingerte. Sondern jemand, der uns mitreißen wollte und das konnte, weil er unser Vertrauter war. Warum?
Es ist früher Abend, du stehst allein in derselben alten Küche, in der die Mutter dein Milchfläschchen wärmte, aber das war mal, du bist heute sagen wir mal dreizehn, das ist jetzt alles anders, wieso stehst du dann immer noch in derselben Küche verdammt, du fühlst dich fehl am Platz, WDR2 läuft, Mal Sandock sagt „Hey! Hier ist die Neue von den Sweet! Ganz fantastischer Super-Sound!“ und es ist vielleicht „Ballroom Blitz“ und du kannst noch nicht so gut Englisch und verstehst nicht, dass es um Randale in diesem Song geht, aber du verstehst es doch. Du verstehst, dass du soeben mächtig wurdest, denn nun kennst du das Gegenteil deiner Situation. Wo eben noch Lähmung war, ist nun Brian Conollys Hysterie. Was eben noch hygienisch war, ist nun blutbesprenkelt. Was eben noch statisch war, schwirrt, flimmert, fliegt. Du bist komplett. Die Küche steht unter Wasser. Ein Lied hat das gemacht. Musik kann jeden Ort transzendieren, so würde ich das jetzt ausdrücken mit meinem ganzen neuen Vokabular.
Frank Werner geht in eine Klasse über meiner und sieht aus wie John Lennon.
Punkt für ihn.
Spielte Blues-Mundharmonika auf dem Schulfest.
Hm...
Das ist etwas Hippie, Abzug in der B-Note.
Frank Werner hat ein Vierspur-Tonbandgerät.
Oh mein Gott.
Ein Vierspur-Tonbandgerät, werter Herr, ist in den späten Siebzigern in der Provinz, um die Schande komplett zu machen auch noch in Ost-Westfalen, ein äußerst seltenes und wertvolles Tier. Gegenstand von Legenden und Begehren. Die Beatles hatten bloß drei Spuren – man könnte eine Spur besser sein als die Fab Four! Frank macht Experimente mit Naturgeräuschen, lässt Vogelstimmen rückwärts laufen usw. Na ja, er lebt am Waldrand, wie man so hört.
„Hey Werner! Schon mal daran gedacht, ein Lied aufzunehmen? Kannst du das überhaupt mit deiner Maschine?“
„Oh, es ist eine Tascam.“
Keine Ahnung, wovon er spricht.
Mein erstes aufgenommenes Lied hieß „Kleine Begebenheit vor der Paketfabrik“ und fängt ungefähr so an : „Leider musste ich/ die Stechkarte in die Stechuhr stecken/ so konnte ich mir dein Gesicht nicht merken/ deshalb habe ich dich nicht nach dem Namen gefragt/ und deshalb habe ich dich nur noch von hinten gesehen/ doch ich dachte für mich/ du bist wunderschön.“ Weil ich fünfzehn war, von meinem Ferienjob geschockt und fest entschlossen, nicht mehr loszulassen.
Frank Werner macht das alles Spaß, er lebt ein halbes Jahr lang von Haferflocken und kauft eine Acht-Spur.
Baut die modrige Garage eines Nachbarn aus. Wow, hier könnten wir Schlagzeug aufnehmen! Wie bei richtigen Platten! Da ist dieser Sohn von Landschaftsgärtner Spilker, die haben eine Band, nennen sich Discount, das ist mehr so Wave, und die singen englisch, aber die haben einen richtigen Schlagzeuger !
Wenig später singt „Spüli“-Spilker deutsch, weil es interessanter ist und nennt seine Bands nur noch „Die Sterne“.
Wen es da alles gibt in unserer Gegend! Da ist ein Krankenpfleger aus Bielefeld, Andreas Henning, hat so eine Art Beat-Band namens The Time Twisters. Prima Songs, „Was weiß Yvonne“, „Porsche Girl“, „Ich überfliege alle Berge“. Ein lokaler Schwimm-Champion aus Herford, Achim Knorr, nennt sich „Der Fremde“ und interpretiert seine Songs wie „Ich möchte alles“ in einer eigenartigen Mischung aus Athletik und Weichheit.
Nur ein Mädchen ist auch da: die Tochter des Orthopäden aus der Osterstraße, Bernadette Hengst. Schreibt, singt, spielt Gitarre und Akkordeon. Beeindruckt alle. Wird später Die Braut haut aufs Auge gründen.
Mein bester Freund Michael Girke nennt sich „Jetzt!“ und schreibt Kracher-Songs wie „Kommst du mit in den Alltag“ oder „Das Dorf am Ende der Welt“.
Dann ist da noch dieser Junge aus Brake, Jochen Diestelmeyer, nennt seine Band „Die Bienenjäger“, klingen poppig, ein bisschen wie „Atztec Camera“. Seine spätere Band tauft Jochen „Blumfeld“ und ich finde das ein bisschen gewollt, sich nach einer Kafka-Erzählung zu benennen. Habe ihn gern, muss aber immer an ihm rummeckern. Wie am kleinen Bruder, den ich als Einzelkind nie quälen durfte.
Wir helfen uns. Spüli spielt für Bernadette Bass, ich spiele für Achim Gitarre, und alle singen bei allen Chor und klatschen auf den Beat. Und alle hören alle Aufnahmen von allen und finden sie toll. Und denken sich bloß im Hinterkopf, das sie es selber ein bisschen besser machen werden. Beim nächsten Mal. Verbindet uns etwas?
Ja, zwei Dinge.
Wir sind irrelevante Landeier und wir singen ausschließlich über das Wichtigste. Auf Deutsch. Bestimmt nicht aus nationaler Gesinnung und schon gar nicht aus Hipness-Gründen. In den Achtzigern, nach der Implosion der Neuen Deutschen Welle, sang man nicht deutsch. Peinlich so was. Man war exotistisch, kommerziell-internationalistisch. „New York, Rio, Tokio“ hieß der maßgebliche Radiohit. Auf Englisch von einer Frankfurter Band.
Da können wir nicht mithalten, Kinder...
Und, verdammich, warum sollten wir?
Ihr wollt in Tokio sein?
Ihr wisst ja nicht mal, wie Bielefeld funktioniert!
Ihr seid auf einer Yacht mit Duran Duran?
Das Leben findet in Wohnungen statt.
Macht die Augen auf und ihr befindet euch in der futuristischsten Gegend überhaupt – eurer Nachbarschaft.
Wir unternehmen eine Expedition ins Bekannte – ihr werdet nichts wiedererkennen.
Vor uns hat niemand das Naheliegendste versucht.
So oder so ähnlich versuchte ich, meinen Gefährten und mir Stolz zu geben, wenn wir uns mal wieder von der „Welt“ ausgeschlossen, von der Höhe der Zeit abgeschnitten fühlten. Es war keine programmatische Entscheidung, in unserer Muttersprache zu singen. Wir taten es, wir tun es, um zueinander zu sprechen, um zu unseren Nachbarn zu sprechen und um die Gegenstände in der Nähe zu halten.
Alfred Hilsbergs Zimmer im Hamburger Karo-Viertel war extrem unaufgeräumt und darunter lag sehr viel Donald-Duck-Spielzeug. „Ich sammele die“, erklärte der berühmte Underground-Impressario Frank Werner und mir. Schließlich hatte er uns doch noch empfangen, nach zahllosen telefonischen Vertröstungen und geplatzten Terminen. Nach einer endlosen Fahrt in Franks französischem Kleinwagen war er nicht wie verabredet zu Hause gewesen und wir hatten zwei Stunden auf seiner Schwelle gewartet wie Tramps, wie Groupies, wie Fans, wie Stalker. Was macht’s. Unsere Zeit ist nichts wert, wir sind niemand, aber bitte, großer Mann, der du alles lenkst, höre unsere Aufnahmen. Sie sind alles, was wir haben, das Einzige, das etwas mit uns selbst zu tun hat. Von nichts Anderem haben wir uns je etwas erhofft.
Und Alfred hörte zu, das musste man ihm lassen, dafür war er bekannt. Aber was sagte er? „Ich finde das ganz interessant, aber ich werde es nicht rausbringen.“
Frank und ich sahen uns noch ein bisschen die Stadt an, dann fuhren wir den ganzen Weg zurück.
Wer braucht diese Hamburger Schnösel. Das handhaben wir selbst. Kann ja nicht so wahnsinnig schwer sein. Irgendwohin wird das schon führen.
Das „Fast-Weltweit“-Label aus Bad Salzuflen. Ein paar Sampler, ein paar Singles, ein paar LPs. Keine Videos, kein Vertrieb. Kaum jemand hörte uns. Die meisten haben uns gespürt.
Aus HEADSPIN #13, Dezember 1995
Fast Weltweit - Versuch eines Überblicks
Die Reformation deutschsprachiger Popmusik ruht nicht nur auf den Schultern sogenannter Szenemetropolen wie Hamburg und Berlin. Gerade die (wieder: sogenannte) Provinz hat hart arbeitende Vertreter, Prediger und Propheten in die Schlacht um die Konsumentenbekehrung geworfen. Einer dieser Partisanentrupps hat In Bad Salzuflen seine Homebase, Zweigniederlassung ist Köln. Name das Labels: Fast Weltweit.
Ab 1984 bis heute wurde In Klein- und Kleinstauflagen ein Sampler, 5 Singles und zwei MCs veröffentlicht. Aus dieser Clique rekrutieren sich sechs Formationen: Die TIme Twisters, Die Bienenjäger, Der Fremde, Die Sterne, Jetzt! und Bernadette Hengst.
Anders als die derzeitige deutschsprachige Überband Kolossale Jugend, sind die Texte nicht frei assoziierbares Stückgut, sondern radikal-peinliche Liebes- und Heimatlyrik. Verschenktes Leben in der Großstadt und alle Facetten der Zweisamkeit werden penibel durchgereimt beleuchtet. Wem man nicht die Ehrlichkeit bei Jedem Ton spüren würde, wäre es Schlager.
Auch musikalisch Iiegen die Projekte eng beisammen. England-orientierter Tea-Time-Pop steht hoch Im Kurs. Bands mit Gütesiegel sind Vorbild. Jam, Smiths, Housemartins. Auch Jonathan Richman spielt eine große Rolle, doch mehr in der Haltung: trotz sensibler Simplizität und kitschiger Unverfrorenheit Würde behalten, gar Respekt ernten.
Ab und an im Radio gespielt zu werden, hätte sicherlich jede Combo verdient. Hammerharte Nerven braucht nur der Gesamtkatalog-Rezensent. Das ist mir alles einfach zu bieder und zu brav und oft wortreich nichtssagend. Meine Hoffnung ist, daß sich aus den vielen guten Ansätzen ein/zwei Gruppen den Weg zu eigener spannender Musik bahnen können. Der Fremde sind dabei auf dem besten Weg. Ansonsten werden sie weiter als Gaudilieferanten in Kritikerkreisen mißbraucht werden.
Holger Schmitz
Warum Deutsch! Warum Du!
Es ist länger als ein halbes Jahr her, daß ich ein Package-Konzert des Fast-Weitweit-Labels in Berlin sah und aus spontaner Begeisterung die Akteure spät nachts zu einem längeren Interview zusammensuchte. Da mühten sich aufgeweckte junge Menschen um Erklärungen, warum sie deutsch singen und wie es überhaupt angehen kann, daß ungefähr zehn Sänger und Sängerinnen aus der Gegend um Bad Salzuflen zur selben Zeit auf die Idee kommen, deutschsprachige Bands jenseits von Fun-Punk und Sozialdemokraten-Rock zu gründen. Was zu Fast Weltweit geführt hat, eher ein Freundeskreis denn ein Label (neben zwei Compilation-Tapes sind zwischen 1985 und heute kaum mehr als fünf Singles von F-W-Acts erschienen), und zu einer hauseigenen Linie, die Michael Girke (aka Jetzt!) mit "Rückbesinnung auf das deutsche Lied und Suche nach einer zeitgemäßen Form" beschreibt. Und es rührte mich, als Jochen Distelmeyer mit geschwollener Halsschlagader "lang, lang, lang, Iang lag ich wach und habe nur in dich gedacht... was werden wir finden?" sang, mit seiner Band, die Die Bienenjäger heißt von denen es ein Stück mit dem unglaublichen Titel "Tatjana Traurig" gibt wo die Theaterstudentin, die tatsächlich Bernadette Hengst heißt, im Hintergrund summt, die selbst ein Lied geschrieben hat in dem sie ihre Eltern bittet, etwas mehr Verständnis für ihre rüpelhaften Freunde (womit die netten Label-Kollegen gemeint sind) aufzubringen. Unglaublich, nicht wahr? Zumal, wenn dann im Falle Die Sterne eine knackige Ferien-Single ("Ein verregneter Sommer") dabei rausspringt, die es verdient hätte, Jule Neigel aus den Teen-Charts zu drängen. Doch am meisten ärgert man diese jungen Leute mit der Feststellung, ihre Texte seien pubertär und trieften vor gymnasialem Tagebuch-Sentiment. Bernadette: "Du hast selbst gesagt, die Auftritte hätten dich gerührt." ( Peinlich berührt, fühlte mich wie ein verliebter 14jähriger, und wenn ich das wäre, würde ich sie dafür lieben und ihre Platten kaufen, sie so reich und berühmt wie Heinz-Rudolf Kunze machen ...) "Außerdem kann man mit der deutschen Sprache nicht all das singen, was man in englisch singen kann. 'Fuck' zum Beispiel, ich könnte nie 'ficken' singen, das klänge furchtbar." ( Hätte schon gerne gehört, wie es klingt wenn Bernadette 'ficken' singt, zur akustischen Gitarre... Und: Lieber Der Fremde als Lustfinger oder Abstürzende Biertauben. Auch wenn das deutsche Lied in seiner zeitgemäßen Form, dem Bad-Salzuflen-Beat, stark britisch klingt, nach den Pale Fountains (Bienenjäger) und der one-man-Folk-Version der Mary Chain (Der Fremde). Aber das ist der Charme schüchtemer Abiturienten aus westfälischen Kleinstädten, die sich für Paddy McAloon oder mindestens Roddy Frame halten, die eigenen kleinen Sehnsüchte, Problemchen und Liebesnöte erbarmungslos in Refrains offenbaren und das Publikum ermahnen, leiser zu sein. Dig the new Hornbrillen-Groove! (Ah, grabt das neue Grumbeln...!)
Sebastian Zabel / SPEX 8/89
1 Kommentar:
Ausstellung über Fast Weltweit
Stadt.Land.Pop
Popmusik zwischen Westfalen und Hamburger Schule
27. November 2008 bis 19. April 2009
Museum für Westfälische Literatur in Oelde Stromberg
www.kulturgut-nottbeck.de
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